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BGH, Beschl. v. 13.12.2022 -1 StR 408/21: Zum Rücktritt vom unbeendeten Versuch

Sachverhalt (Rz. 3–7)

Der Angeklagte N. hat auf dem Werksgelände des Geschädigten K. unter anderem einen Personenkraftwagen abgestellt und dem Geschädigten die Fahrzeugpapiere nebst Autoschlüssel übergeben. N. hatte die Herausgabe seines Fahrzeugs gefordert, was K. unter Geltendmachung von Gegenforderungen verweigert hatte. Eines Abends hatten sich N. und K. erneut darüber gestritten. Im Verlauf der Auseinandersetzung hatte K. N. zwei wuchtige Schläge gegen den Kopf versetzt, wodurch dieser eine Gehirnerschütterung und eine Verletzung an der Oberlippe erlitten hatte. N. kam mit seinen Brüdern, dem Angeklagten H. und dem nichtrevidierenden L. , überein, das Fahrzeug von K. zurückzuholen, notfalls unter gemeinschaft­licher Anwendung von Gewalt. Sie fuhren zur Werkhalle des K. . L. wartete gemäß der Absprache vor der Halle, um seinen beiden Brüdern im Bedarfsfall zu helfen. N. führte eine mit mindestens fünf scharfen Zentralfeuerpatronen geladene Selbstladepistole und H. ein Klappmesser mit einseitig geschliffener Klinge mit sich, wobei keiner der Angeklagten von der Bewaffnung des jeweils anderen wusste. K. verweigerte weiterhin die Herausgabe des Wagens und verwies die Angeklagten der Halle. Da die Angeklagten dem nicht nachkamen, versuchte K. , sie mit ausgebreiteten Armen in Richtung Ausgang der Halle zu schieben. N. begann gemäß dem Tatplan, auf K. einzuschlagen, um die Rückgabe des Wagens zu erzwingen. H. folgte ihm hierin. Während K. sich mit Schlägen gegen den ihm frontal zugewandten Angeklagten N. zur Wehr setzte, gelang es H. , hinter K. zu treten. Dort zog er, von N. unbemerkt, das von ihm mitgeführte Messer und versetzte dem Geschädigten in schneller Abfolge drei Stiche in den Rücken, wobei er ihn im Bereich beider Nieren sowie auf Höhe des unteren linken Lungenflügels traf. K. s Tod nahm er hierbei billigend in Kauf. K. , dem es nach dem dritten Stich gelang, H. durch einen Schlag zu Boden zu bringen, rutschte aus und ging ebenfalls zu Boden. N. , der die Stiche nicht bemerkt hatte, trat und schlug auf den am Boden liegenden Geschädigten zunächst allein ein. Als H. wieder aufgestanden war, versetzte er K. ebenfalls Schläge. Dabei ging er aufgrund der weiterhin massiven Gegenwehr des K. davon aus, diesen mit dem Messer nicht lebens­gefährlich verletzt zu haben. Von einem weiteren Einsatz des Messers sah er dennoch ab und beschränkte sich auf die Ausführung von Schlägen, um den Geschädigten gemeinsam mit seinem Bruder zu verletzen. K. , der noch immer am Boden lag, gelang es, H. zu Fall zu bringen und selbst wieder aufzustehen. Er stand nun N. gegenüber, der spätestens jetzt den Entschluss fasste, die Schusswaffe zum Einsatz zu bringen, um nicht erneut eine Niederlage erleiden zu müssen. Er schoss dem Geschädigten in den rechten Oberarm. Nach etwa einer Sekunde gab er mit direktem Tötungs­vorsatz in schneller Abfolge vier weitere Schüsse ab, von denen je einer den Geschädigten im Gesicht, im Bereich des rechten Schulterblatts sowie am Hinterkopf traf. Nach der letzten Schussabgabe ging N. davon aus, dass der Geschädigte versterben werde. H. war mit den Schüssen nicht einverstanden und flüchtete nach dem letzten Schuss. Der Geschädigte überlebte schwer verletzt.

Das Landgericht hat zugunsten des H. einen Rücktritt vom unbeendeten versuchten Totschlag angenommen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB). H. habe nach dem letzten mit bedingtem Tötungs­vorsatz geführten Messerstich von weiteren möglichen Stichen abgesehen; die anschließenden Schläge habe er wiederum allein mit dem Vorsatz ausgeführt, den Geschädigten zu verletzen. Der Einsatz der Schusswaffe durch N. sei von seinem Vorsatz nicht umfasst gewesen und ihm nicht zuzurechnen. Das Landgericht hat den Angeklagten H. deshalb lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, § 25 Abs. 2 StGB) verurteilt.

Aus den Gründen: (Rz. 8–13)

Die Revision der Staats­anwaltschaft hat keinen Erfolg. Der Schuldspruch allein wegen gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Nach­prüfung stand. Die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags durch H. ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB ermöglicht den Rücktritt vom unbeendeten Versuch durch Aufgabe der weiteren Ausführung der Tat. Tat in diesem Sinne ist eine Straftat im Sinne eines materiell-rechtlichen Straftatbestandes, das heißt die in den gesetzlichen Straftatbeständen umschriebene tatbestandsmäßige Handlung und der tatbestandsmäßige Erfolg. Dementsprechend beschränkt sich beim unbeendeten Versuch der Entschluss, die weitere Tatausführung aufzugeben, auf die Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale. Erforderlich ist insoweit, dass der Täter von der konkreten Tatbegehung endgültig Abstand genommen hat. Nicht aufgegeben ist die Tat, solange er mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend. Maßgeblich ist das Vorstellungs­bild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungs­handlung. Bei einem mehraktigen Geschehen, innerhalb dessen der Täter verschiedene Handlungen vornimmt, die auf die Herbeiführung eines strafrechtlich relevanten Erfolges gerichtet sind, kommt es auf das subjektive Vorstellungs­bild des Täters nach jedem Einzelakt an. Bilden jedoch die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen, so ist für die Bestimmung des Rücktrittshorizonts allein die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungs­handlung maßgeblich. Hierfür müssen die tatgerichtlichen Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen einen Vorsatzwechsel ausschließen und belegen, dass nach der subjektiven Zielsetzung des Täters ein solches einheitliches Geschehen anzunehmen.

Gemessen hieran ist die Beweiswürdigung des Landgerichts zu dem Rücktrittshorizont und Vorsatzwechsel des Angeklagten H. im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zu Recht stellt die Strafkammer hierbei auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Angeklagte von dem weiteren Einsatz des Messers absah. Die Messerstiche bildeten mit den sich anschließenden Schlägen und Tritten kein einheitliches Geschehen, welches es nach den vorgenannten Grundsätzen rechtfertigen würde, zur Bestimmung des Rücktrittshorizonts auf die letzte Ausführungs­handlung des Angeklagten in dem Gesamtgeschehen abzustellen. Auch ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nicht die Überzeugung gewonnen hat, dass der Angeklagte die Schläge und die ihm nach § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnenden Tritte nicht mit Tötungs­vorsatz ausführte. Denn weder enthalten die Urteilsgründe Anhaltspunkte dafür, dass es das Ziel des Angeklagten gewesen wäre, dem Geschädigten tödliche Verletzungen beizubringen, noch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, dass die Schläge und Tritte – auch unter Berücksichtigung der vorher zugeführten Messerstiche – so gefährlich gewesen wären, als dass daraus auf einen bedingten Tötungs­vorsatz zu schließen wäre. Vielmehr ließen sich die Kausalität dieser Tathandlungen für die Gesichtsverletzungen des Geschädigten, unter ihnen mehrere Knochenfrakturen, und damit einhergehend ihre Gefährlichkeit nicht aufklären; insoweit sind auch keine weitergehenden Feststellungen zu erwarten. Von einer Zurechnung der von dem Angeklagten N. abgegebenen Schüsse hat das Landgericht rechts­fehlerfrei abgesehen. Es ist der Revision zwar zuzugeben, dass das Landgericht die für ein Fortbestehen des bedingten Tötungs­vorsatzes sprechenden Umstände im Zeitpunkt der gemeinsamen Tritte und Schläge, insbesondere die erhebliche Vorverletzung durch die Messerstiche, nicht ausdrücklich in seine Würdigung einbezogen hat. Die Aufgabe des vormals bestehenden Tötungs­vorsatzes erschließt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Denn diese belegen neben der Abstandnahme von weiteren Messerstichen und der zeitlichen Abfolge des Geschehens insbesondere die fehlende Billigung des Einsatzes der Schusswaffe durch H. Diese Umstände lassen in der Gesamtbetrachtung einen trag­fähigen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstandenden Rückschluss auf das Vorstellungs­bild des Angeklagten zum Zeitpunkt der Schläge und Tritte zu.

Subsumtion (Rz. 23–26)

Das Landgericht hat die drei Schüsse rechtlich einheitlich gewürdigt. Da diese unter sich ändernden Bedingungen abgegeben wurden, hätte es jedoch einer differenzierenden Betrachtung und in deren Konsequenz zusätzlicher Feststellungen bedurft. Die Sache bedarf daher insgesamt der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung.

Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls Feststellungen dazu zu treffen haben, bei welchem Angreifer sich das entwendete Geld zum Zeitpunkt der Abgabe des dritten Schusses befand. Für den Fall, dass nicht der Nebenkläger, sondern der Zeuge M. es bei sich trug, bedarf es auch Feststellungen dazu, ob dies für einen sorgfältig beobachtenden Verteidiger erkennbar war. Sollten Feststellungen möglich sein zur konkreten Vorstellung des Angeklagten, so käme auch ihr Relevanz zu: Sollte das Tatgericht zu der Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte positiv von einem Besitz des Zeugen M. ausging, so kann dies die erneute Annahme eines auch beim Schuss auf den Nebenkläger noch fortbestehenden Verteidigungs­willens in Frage stellen. Sollte der Angeklagte dagegen irrtümlich einen gar nicht bestehenden Besitz des Nebenklägers angenommen haben, könnte dies unter dem Gesichtspunkt der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts als ein den Vorsatz ausschließender Irrtum über Tatumstände nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB Bedeutung erlangen.

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