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BGH, Beschl. v. 02.11.2023 – 6 StR 437/23: Zum Rücktritt vom beendeten Versuch

Sachverhalt (Rn. 1–4)

Die Angeklagte und ihr Ehemann verbrachten den Abend in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie begaben sich zu einer nicht näher feststellbaren Zeit ins Schlafzimmer. Dort wollten sie miteinander intim werden. Dabei war es schon früher zu gegenseitigen Fesselungen gekommen. In Erwartung des bevorstehenden sexuellen Kontakts ließ der bäuchlings auf dem Bett liegende Ehemann seine Hände von der Angeklagten fesseln. Diese begann nun damit, seinen Rücken mit Öl einzureiben. Ohne dass das Landgericht hierfür ein Motiv festzustellen vermochte, nahm die Angeklagte sodann ein Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm und begann, auf ihren Mann einzustechen. Sie fügte ihm insgesamt 26 Stich- und drei Schnittverletzungen zu. Das Opfer erlitt hierdurch massive Verletzungen im Bereich des Oberkörpers und einen hohen Blutverlust. Nach dem letzten Messerstich ging sie davon aus, alles Erforderliche getan zu haben, um den Tod ihres Mannes herbeizuführen.

Sodann wusch die Angeklagte sich im Badezimmer, zog ein sauberes Kleid an, reinigte das Messer und warf es anschließend über den Balkon in den Innenhof. Um 4.43 Uhr wählte sie den Notruf. Sie ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, ihr Mann sei verstorben, teilte dies den Mitarbeitern der Rettungs­stelle mit und bat um Hilfe. Im Laufe des Telefonats gab der Geschädigte plötzlich Worte von sich. Erst jetzt bemerkte die Angeklagte ihren Irrtum, ging aber davon aus, das Opfer werde aufgrund der Vielzahl der Messerstiche und des hohen Blutverlusts in Kürze sterben; Rettungs­bemühungen entfaltete sie auch jetzt nicht. Um 4.50 Uhr trafen Notfallsanitäter in der Wohnung ein und transportierten das Opfer in ein Krankenhaus, wo es umgehend operiert und gerettet wurde.

Das LG hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Ihre auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Beweiswürdigung hält, auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungs­maßstabs, sachlich-rechtlicher Nach­prüfung nicht stand.

Infolge von Erörterungs­mängeln kann der Schuldspruch wegen versuchten Mordes keinen Bestand haben.

Aus den Gründen (Rn. 5–11)

Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, soweit sie einen etwaigen Rücktritt vom Vorwurf des versuchten Mordes betrifft.

Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht von einem beendeten Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB ausgegangen, da die Angeklagte nach dem letzten Stich glaubte, alles getan zu haben, um den Tod ihres Mannes herbeizuführen. Für einen strafbefreienden Rücktritt ist es dann erforderlich, dass der Täter den von ihm in Gang gesetzten Kausalverlauf bewusst und gewollt unterbricht, also mit Rettungs­willen handelt.

Letzterer wird hier von der Strafkammer verneint. Sie stützt die Feststellung, die Angeklagte sei bei ihrem Anruf (zunächst) davon ausgegangen, ihr Mann sei bereits verstorben, maßgeblich auf den Notruf. Die Angeklagte äußerte sich darin u.a. wie folgt: „Bitte helft mein Mann. (Unverständliches Wort) ist tot. Bitte helft mir.“ Auf Nachfrage, warum ihr Mann denn tot sei, antwortete sie: „Nein, wir schlafen und ich was machen, ich und mit mein Mann, und einmal meine Tür glu... äh klopfen und dann fang ich an aufmachen. Mein Mann Messer gemacht und mein Mann ist viele Messer. Bitte helft mir.“

Es fehlt insoweit schon die Auseinandersetzung damit, dass die Angaben der Angeklagten in mehrfacher Hinsicht unverständlich und jedenfalls nicht eindeutig waren. Zudem hätte es der Erörterung bedurft, warum die Angeklagte in dem Glauben, ihr Mann sei verstorben, die Mitarbeiter der Rettungs­stelle noch ausdrücklich um Hilfe für ihren Mann gebeten haben soll. Zu einer eingehenden Erörterung all dessen bestand umso mehr Anlass, als die Angeklagte ausweislich der zu ihrer Person getroffenen Feststellungen nur über „geringe Deutsch­kenntnisse“ verfügte und damit sprachliche Missverständnisse ohne Weiteres möglich erscheinen.

Lückenhaft ist die Beweiswürdigung auch insoweit, als die Strafkammer einen Rücktritt im Sinne des § 24 Abs. 1 S. 2 StGB verneint, nachdem die Angeklagte erkannt hatte, dass das Opfer noch lebte. Der daran anknüpfende pauschale Hinweis der Strafkammer, im weiteren Verlauf habe die Angeklagte keine Rettungs­bemühungen entfaltet, ist ersichtlich unzureichend. Es hätte insoweit etwa der Darstellung des nachfolgenden Verlaufs des Telefonats mit der Rettungs­stelle, das über sieben Minuten andauerte, bedurft. Es liegt nahe, dass etwa Angaben zur Wohnanschrift und zur genauen Lage der Wohnung in dem zehngeschossigen Haus für die Rettung des Opfers zumindest mitursächlich hätten sein können. Von Belang ist insoweit möglicherweise auch das weitere Verhalten der Angeklagten, als die Notfallsanitäter vor Ort eingetroffen waren, wie etwa die Gewährung des Zugangs in das Haus und in die Wohnung.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine gefährliche Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ein planmäßiges Verbergen der Angriffsabsicht voraussetzt. Das bloße Ausnutzen des Überraschungs­moments bei einem Angriff von hinten reicht dazu nicht aus.

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