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BGH, Urt. v. 28.04.2021 – 2 StR 223/20: Zur Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 Var. 2 StGB

Sachverhalt:

Zwischen dem Angekl. A und seiner Ehefrau H kam es zu häufiger zu Streitereien. Die Familie plante für den nächsten Tag einen Familienbesuch. Am Morgen stritten die Eheleute erneut, da H entgegen der zuvor getroffenen Absprache, A bei der Durchführung des geplanten Ölwechsels zu begleiten, die Wohnung reinigen und für die Reise packen wollte. Aufgrund dieses Streits und der Befürchtung, von seiner Ehefrau betrogen zu werden, ließ A sein Handy in der Wohnung liegen und schaltete die Tonaufnahmefunktion ein, bevor er fortfuhr. Zwei Stunden später kehrte er zurück, nahm das Handy an sich und hörte das Handy ab. Er glaubte, auf der Tonaufnahme seien Stimmen und Geräusche zu hören, die darauf schließen lassen, dass ihn seine Ehefrau mit einem anderen Mann betrüge. A ging ins Badezimmer, wo H den Sohn B wusch. Diesen zerrte A aus dem Bad heraus, sodass er sich mit H alleine im Bad befand. Er schloss die Badezimmertür von innen ab, zog ein mitgeführtes Küchenmesser und hielt dies H vor, während er sie mit dem Verdacht des Fremdgehens konfrontierte. Er drohte ihr, sie umzubringen, wenn sie diesbezüglich nicht die Wahrheit sagen würde. Sodann zwang er H unter Vorhalt des Messers, sich an den Badewannenrand zu setzen und sich die Tonaufnahme anzuhören. H erklärte, auf der Aufnahme nur Kinderstimmen zu hören und schwor bei Gott, ihren Ehemann nicht zu betrügen. Daraufhin schlug A sie mit der flachen Hand ins Gesicht und stach mit dem Messer mehrfach auf sie ein, sodass sie mehrere Schnitt- und Stichverletzungen erlitt. Bereits nach der ersten Schnittverletzung am Unterarm fiel H in Ohnmacht. Anschließend schloss A die Badezimmertür wieder auf und verließ mit den Kindern das Haus. Nachdem H ihr Bewusstsein wiedererlangte, legte sie sich im Wohnzimmer auf ein Sofa. Als A nach Hause zurückgekehrt war, fragte er H erneut – diesmal ohne Messer – ob sie nicht endlich alles zugeben wolle. Dann fuhr er erneut mit den Kindern im PKW fort. In Sorge um die Kinder verließ auch H das Haus. Auf der Straße wurde sie von Nachbarn aufgegriffen und erstversorgt. Diese verständigten Rettungs­kräfte, die die weitere Versorgung übernahmen. Während seiner Fahrt rief auch A den Notruf an und teilte mit, dass seine Frau Hilfe benötige. Er telefonierte auch mit einem Verwandten, der wiederum seinen Onkel anrief und diesen aufforderte nach H zu schauen, was diese auch taten. Ohne die Operation der H im Krankenhaus hätten die mit dem Messer zugefügten Verletzungen binnen weniger Stunden zu ihrem Tod geführt.

Das LG hat den A wegen Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 Var. 2 StGB in Tateinheit mit einer gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB verurteilt. Dies hält der sachlich-rechtlichen Nach­prüfung stand.

Aus den Gründen:

Ein Sich-Bemächtigen liegt vor, „wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss.“ (Rn. 11) Die Bemächtigung muss eine „gewisse Stabilisierung“ der Lage des Opfers zur Folge haben. „Denn nur dann kann der Täter gerade – wie es der Tatbestand des § 239b StGB verlangt (…) – die von ihm geschaffene Lage zur (weiteren) Nötigung ausnutzen. Die stabilisierte Bemächtigungs­lage muss deshalb für die nachfolgende Nötigung eine eigenständige Bedeutung haben; es muss sich gerade aus dieser stabilen Bemächtigungs­lage über die mit jeder Bemächtigung verbundenen Beherrschungs­situation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer ergeben.“ (Rn. 11)

Daran gemessen liegen die Voraussetzungen von § 239b Abs. 1 1.Hs. 2. Var. StGB vor. A hat sich bereits in dem Augenblick, als er seinen Sohn aus dem Badezimmer gezerrt hat und dort mit H alleine war, ihrer bemächtigt. Durch das Abschließen der Tür ist es H unmöglich geworden, das Bad zu verlassen. Hierzu hätte sie nicht nur den zu erwartenden Widerstand des A überwinden, sondern auch die verschlossene Tür öffnen müssen. Damit ist eine stabile Bemächtigungs­situation entstanden, aus der sich für die H über die Beherrschungs­lage hinaus eine besondere Drucksituation ergeben hat. Maßgebliche Bedeutung für die Annahme einer stabilen Bemächtigungs­lage hat vor allem deren Intensität. Die Bemächtigungs­lage wurde hier wesentlich durch das Einsperren herbeigeführt. Aus Sicht des A diente die eingetretene Stabilisierung als Grundlage für die folgende weitere Nötigung, mit der er seine Ehefrau unter Vorhalt eines Messers bei gleichzeitigem Vorspielen der Tonaufnahmen und der Drohung mit dem Tod zur Aussprache hinsichtlich einer von ihm vermuteten Beziehung zu einem anderen Mann veranlassen wollte. A versprach sich gerade durch das Einsperren seiner Frau Erfolg hinsichtlich der von ihm ausgesprochenen qualifizierten Drohung. Damit hat er die Bemächtigungs­lage zu einer Drohung mit dem Tode im Sinne von § 239b Abs. 1 Var. 1 StGB ausgenutzt.

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