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BGH, Beschl. v. 17.04.2019 – 2 StR 363/18: Zur Erforderlichkeit der Verteidigungs­handlung bei der Notwehr

Sachverhalt:

Der Angeklagte A, der Wirt der Gaststätte „D“ war, hatte dem C Lokalverbot erteilt, nachdem dieser seine Frau respektlos behandelt hatte und zudem der Verdacht aufgekommen war, C könne in der Gaststätte mit Drogen handeln. Trotz des Lokalverbots erschien C mit dem Zeugen Ö stark alkoholisiert und unter dem Einfluss von Drogen gleichwohl im „D“. Als A vermutete, C wickele während seines Besuchs im „D“ Drogengeschäfte auf der Herrentoilette ab, forderte A den C auf, die Gaststätte umgehend zu verlassen. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung in der C den A mehrfach beleidigte und provozierte. Als A schließlich in den Theken­bereich ging, um die Polizei zu rufen, schlug C dem A das Telefon aus der Hand, woraufhin es zu einem Gerangel kam. Versuche mehrerer Lokalbesucher, den C zu beschwichtigen, blieben erfolglos. A, der sowohl größer als auch kräftiger war als C, geriet zunehmend in Wut und sorgte sich darüber hinaus um das körperliche Wohl seiner ebenso anwesenden Frau. Nachdem die Auseinandersetzung einige Minuten angedauert hatte, ergriff A ein im Theken­bereich platz­iertes 26 cm langes Messer und stach es dem unbewaffneten C ohne Ankündigung mehrfach in den Oberkörper­bereich. Dem A war dabei bewusst, dass die Schläge des C höchstens mit mittlerer Intensität ausgeführt wurden und weder für ihn noch für seine Frau Lebens­gefahr bestanden hätte. Zudem wusste er, dass C das Messer nicht bemerkt hatte und dass sich dieser voraussichtlich zurückgezogen hätte, wenn ihm die zwischenzeitliche Bewaffnung zur Kenntnis gelangt wäre.  Durch das Eingreifen von K, dem es gelang den C aus dem Theken­bereich zu ziehen, wurde der Angriff schließlich beendet. C erlitt durch den Messereinsatz mehrere Stichverletzungen, die jedoch zu keinem Zeitpunkt lebens­bedrohlich waren.

Das LG ist davon ausgegangen, dass sich A zwar in einer Notwehrlage befunden und auch mit Verteidigungs­willen gehandelt habe, die Verteidigungs­handlung des A jedoch nicht mehr als erforderlich anzusehen sei. Der A sei gehalten gewesen, den Messereinsatz C gegenüber zunächst (verbal oder durch entsprechendes Vorhalten) anzudrohen. Eine Androhung wäre ebenso gut geeignet gewesen, die Ein­wirkungen seitens des C sofort zu beenden. Dies ergebe sich daraus, dass C nicht bewaffnet und die Intensität des Angriffs nicht hochgradig gewesen sei.

Nach Ansicht des BGH halten die Erwägungen mit denen das LG eine Rechtfertigung des A durch Notwehr (§ 32 StGB) abgelehnt hat, einer rechtlichen Über­prüfung nicht stand.

Aus den Gründen:

„Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (…). Stehen dem Angegriffenen mehrere Abwehrmittel zur Wahl, muss er auf weniger gefährliche Verteidigungs­mittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehr­wirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. „Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann (…) durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines Messers jedoch in der Regel anzudrohen, wenn die Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungs­möglichkeiten zugemutet werden kann (…). Dies ist auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungs­handlung zu beurteilen. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungs­handlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.“ (Rn. 10)

Bei der Einschätzung des LG, eine Androhung des Messereinsatzes sei ebenso geeignet gewesen, den Angriff abzuwehren, lässt das LG die Umstände der konkreten Angriffslage außer Acht. (Rn. 12)

„Warum der (…) auch gegen den Widerstand [mehrerer] unbeteiligter Personen zur Fortsetzung des Kampfes entschlossene C bei Androhung eines Messereinsatzes von weiteren Angriffen abgesehen hätte, erschließt sich, insbesondere auch vor dem Hintergrund der hohen Alkoholisierung des C und einer dadurch bedingten Einschränkung seines Hemmungs­vermögens, nicht. (…) Zusätzlich [ist] in den Blick zu nehmen, dass nicht einmal die Messerstiche, sondern letztlich der Zeuge K unter Einsatz von körperlicher Gewalt den Kampf beendet hat.“ (Rn. 14)

„In dieser Situation erweist sich mit Blick auf die Angriffslage und die geringe Kalkulierbarkeit eines Fehlschlagrisikos die Entscheidung des A für den Messereinsatz und gegen eine vorherige Androhung als rechtlich unbedenklich. (…) Bei der Entscheidung für ein erforderliches Abwehrmittel im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB (…) geht es maßgeblich um die Frage (…), ob es in der zugespitzten Angriffssituation gewährleistet ist, dass der Angriff endgültig beendet wird.“ (Rn. 15)

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