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BGH, Urt. v. 01.06.2023 – 4 StR 225/22: Zum Betrug

Sachverhalt (Rz 3–9)

Der mehrfach unter anderem wegen Betruges und Urkunden­fälschung vorbestrafte Angeklagte war als Rettungs­helfer ehrenamtlich für den Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) tätig. Der Angeklagte, der nie Medizin studiert hatte, bewarb sich auf die Stelle eines stellvertretenden Rotkreuzarztes. Zum Beleg für seine vermeintliche Be­fähigung legte er eine von ihm am Computer hergestellte, angeblich von einer niederländischen Universität ausgestellte Studien­bescheinigung vor, wonach er den Studien­gang Medizin mit erfolgreicher Prüfung absolviert habe und berechtigt sei, die Berufsbezeichnung Arzt zu tragen. Daraufhin wurde er von der Mitgliederversammlung des Ortsverbandes zum stellvertretenden Rotkreuzarzt gewählt.

Der DRK-Kreisverband H. schloss mit der Stadt H. einen zuvor von dem Angeklagten auf Seiten des DRK ausgehandelten Vertrag über die Durchführung von COVID-19-Tests, zur Bereitstellung von zwei Personen (Arzt/Ärztin und geeignetes medizinisches Fach­personal), zur Einsatzplanung und Durchführung der Testungen, zur Beschaffung von Schutz­ausrüstungen und zur Schulung des eingesetzten Personals. Im Rahmen der Testungen sollte das DRK die Probeentnahmen in Form von Abstrichen übernehmen; die Untersuchung der Proben erfolgte in einem Labor. Die vertragliche Vereinbarung beruhte auf der Vorstellung des Gesundheitsamtes, dass Abstriche nur durch ärztliches Personal vorgenommen werden durften. Gedacht wurde dabei von den Vertragsparteien an den Angeklagten als einzigen zur Verfügung stehenden Arzt des DRK H. Zur Erfüllung dieser vertraglichen Verpflichtungen beauftragte das DRK – mündlich – den Angeklagten, der – einem Sub­unternehmer gleich – entgeltlich für das DRK tätig werden und das von der Stadt geforderte Personal anwerben sollte. Der Angeklagte organisierte in der Folgezeit die Durchführung der Testungen und verpflichtete die hierzu erforderlichen Mitarbeiter. In Einzelfällen nahm der Angeklagte auch selbst Abstriche vor. Im Wesentlichen beschränkten sich seine Aufgaben auf den administrativen und kaufmännischen Bereich; eine Ausbildung als Arzt war dafür objektiv nicht erforderlich. Seine gleichwohl als „Arztleistungen“ bezeichneten Aufwände rechnete der Angeklagte gegenüber dem DRK-Kreisverband H. ab, der insgesamt mindestens 500.000 € an den Angeklagten überwies. Diese Kosten stellte das DRK seinerseits – mit Aufschlägen in Höhe von insgesamt etwa 150.000 € – der Stadt H. in Rechnung, die diese Beträge auch jeweils zahlte.

Wegen der pandemiebedingten Belastungen bestand im Gesundheitsamt der Stadt H. Bedarf an „zusätzlichem medizinischem Sachverstand“. Die auf Seiten der Stadt zuständige Zeugin M. hoffte, den Angeklagten als zusätzlichen Arzt für das Gesundheitsamt zu gewinnen, und bot ihm daher den Abschluss eines befristeten Anstellungs­vertrags an; der Angeklagte lehnte dieses Angebot ab. Er handelte mit der Zeugin M. jedoch eine weitere Ergänzungs­vereinbarung aus, die unterzeichnet wurde. Danach verpflichtete sich das DRK gegenüber der Stadt, ihr einen Arzt oder eine Ärztin mit einer Arbeits­zeit von 39 Wochenstunden zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Stadt H. , dem DRK für die Gestellung des Arztes eine monatliche Pauschale von 6.300 € zu zahlen, die neben die bisherigen Zahlungen treten sollte. Der zusätzlich an das DRK zu zahlende Geldbetrag war dabei an den für die Anstellung eines Arztes üblicherweise anfallenden Kosten orientiert. Bei Abschluss dieser Vereinbarung war allen Beteiligten klar, dass es sich bei dem Arzt, der auf dieser Grundlage für die Stadt tätig werden sollte, um den Angeklagten handelte. Er sollte weiterhin „ausschließlich zu organisatorischen Aufgaben im Bereich der Pandemiebekämpfung“ eingesetzt werden. Der Angeklagte, der sich mündlich gegenüber dem DRK verpflichtete, der Stadt als „Arzt im Infektions­schutz zur Bekämpfung der Pandemie“ zur Verfügung zu stehen, erhielt vom DRK – zusätzlich – eine monatliche Pauschale in Höhe von 6.000 €.

Nach Abschluss der Vereinbarung erstellte der Angeklagte wiederum unter dem Wappen der Ärztekammer N. ein als „Bestätigung über Ablegung der Fach­arzt­prüfung“ überschriebenes und seiner Gestaltung nach für Außen­stehende wie ein Originalschreiben oder eine Ablichtung eines Originalzeugnisses aussehendes Schreiben, wonach er die Fach­arzt­prüfung der Fach­richtung Psychiatrie bestanden habe. Auch dieses Schreiben endete mit einem vermeintlichen Stempelaufdruck der Ärztekammer und einer nicht lesbaren Unterschrift eines Prüfungs­ausschussvorsitzenden und erweckte dadurch den Eindruck eines echten Zeugnisses. Der Angeklagte legte es dem Gesundheitsamt zusammen mit der bereits zuvor erstellten Bestätigung seiner Weiterbildungs­prüfung zum Arzt für Notfallmedizin vor. Wie von dem Angeklagten erwartet, ging die Stadt H., nachdem sie die Bewerbungs­unterlagen erhalten hatte, davon aus, dass der Angeklagte inzwischen ausgebildeter Fach­arzt sei. Die Personalabteilung stimmte daraufhin dem Ergänzungs­vertrag mit dem darin vereinbarten Arztgehalt zu.

Zur Unterstützung des Gesundheitsamtes erstellte der Angeklagte unter anderem – ohne dazu verpflichtet zu sein – eine psychiatrische Stellungnahme zur Frage der gesundheitlichen Eignung einer Lehr­amtsanwärterin für eine Verbeamtung und führte Plausibilitätskontrollen an Todes­bescheinigungen durch, die er mit seinem Namenskürzel abzeichnete.

Aus den Gründen (Rz. 11, 24–29)

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkunden­fälschung gemäß § 267 Abs. 1, 1. und 3. Var. StGB in vier Fällen verurteilt. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staats­anwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird. Die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe rechts­fehlerhaft eine Betrugsstrafbarkeit verneint.

Eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB hat das Landgericht verneint. Weder dem DRK noch der Stadt H. sei durch die vom Angeklagten initiierten Vertragsabschlüsse ein Vermögensschaden entstanden. Der Angeklagte sei weder leistungs­unwillig gewesen noch seien die von ihm erbrachten „Dienstleistungen“ wirtschaft­lich wertlos oder minderwertig gewesen. Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung liege auch nicht darin, dass der Angeklagte bei den Vertragsabschlüssen seine Vorstrafen verheimlicht habe, da er keine besondere Vertrauensstellung im Hinblick auf das Vermögen des DRK oder der Stadt H. innegehabt habe. Ein Vermögensschaden sei auch nicht deshalb gegeben, weil der Angeklagte seine Arbeit nicht oder nicht brauchbar erbracht habe. Eine besondere Ausbildung, insbesondere die Be­fähigung zum Führen eines Titels als Arzt sei für die von ihm erbrachten Leistungen nicht erforderlich gewesen. Die ihm gewährte Vergütung sei zudem angemessen und nicht mit Blick auf eine besondere Vertrauenswürdigkeit oder Zuverlässigkeit besonders hoch gewesen.

Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaft­licher Betrachtungs­weise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaft­lichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt. Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungs­betrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertrags­partner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung

Gemessen hieran ist die tatgerichtliche Wertung, es sei weder dem von dem Angeklagten über seine Arzteigenschaft getäuschten DRK, noch der insoweit durch den Angeklagten getäuschten Stadt H. ein Vermögensschaden entstanden, auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen nicht nachvollziehbar; dies gilt jedenfalls, soweit es die Ergänzungs­vereinbarung betrifft. Danach verpflichtete sich das DRK gegenüber der Stadt H. ausdrücklich dazu, ihr einen Arzt zu stellen, ohne entsprechend objektiv leistungs­fähig zu sein, weil der dafür vorgesehene Angeklagte kein Arzt war. Als Gegenleistung sollte ein Betrag in Höhe von monatlich 6.300 € entrichtet werden. In Umsetzung dieser Vereinbarung verpflichtete sich der Angeklagte gegenüber dem DRK, als Arzt bei der Stadt H. tätig zu werden, ohne über die hierzu erforderliche und – soweit ersichtlich – vertraglich geschuldete berufliche Qualifikation zu verfügen. Bei dieser Sachlage liegt die Annahme eines Negativsaldos sowohl zum Nachteil des DRK wie auch der Stadt H. nahe. Der in den Urteilsgründen wiedergegebene Vereinbarungs­text deutet darauf hin, dass das vom Angeklagten zu erfüllende Leistungs­spektrum offen gestaltet war und daher auch Tätigkeiten erfasste, die nur von einem Arzt ausgeübt werden konnten. Zweck der Vereinbarung war es aus Sicht der Stadt H. , durch die Mitarbeit des Angeklagten die (einzige) Ärztin des Gesundheitsamtes im Bereich des Infektions­schutzes zu entlasten. Die dem DRK von der Stadt H. zugesagte Vergütung orientierte sich dabei ausdrücklich an den für die Anstellung eines Arztes anfallenden Kosten. Dafür, dass vom Vertragsinhalt wenigstens auch ärztliche Leistungen erfasst waren, spricht zudem die von der Strafkammer festgestellte Vertragspraxis, soweit sie zwischen den Parteien in Vollzug der Vereinbarung „gelebt“ wurde. Danach erbrachte der Angeklagte jedenfalls auf einem Teilgebiet auch Leistungen, die einem Arzt vorbehalten waren, nämlich die von ihm verfasste fach­ärztliche Stellungnahme zur Frage der gesundheitlichen Eignung einer Lehr­amtsanwärterin. Soweit das Landgericht dieser Tätigkeit jeden Indizwert für die vertraglich geschuldeten Leistungen abspricht, ist dies nicht nachvollziehbar.

Gleiches gilt für die tatgerichtliche Feststellung, allen Beteiligten sei bei Abschluss der Ergänzungs­vereinbarung „klar“ gewesen, dass der Angeklagte von der Stadt „weiterhin ausschließlich zu organisatorischen Aufgaben im Bereich der Pandemiebekämpfung und nicht für medizinische Leistungen“ habe eingesetzt werden sollen. Insoweit kann nicht nachvollzogen werden, dass und auf welche Weise diese – in einem auf die Gestellung eines Arztes gerichteten Vertrag objektiv nicht naheliegende – Beschränkung auf nicht medizinische Leistungen Eingang in die Ergänzungs­vereinbarung gefunden haben könnte. Die Annahme, dass der Angeklagte allein das bisher von ihm erbrachte Leistungs­spektrum fortführen sollte, stünde im Übrigen in einem durch die Urteilsgründe nicht aufgelösten Widerspruch zu dem Umstand, dass diese Ergänzungs­vereinbarung vor dem Hintergrund eines bei der Stadt bestehenden Bedarfs an zusätzlichem medizinischen Sachverstand geschlossen wurde und noch während der Laufzeit der ursprünglichen Vereinbarung zwischen dem DRK und der Stadt wirksam werden sollte.

Darauf, ob bei der tatsächlichen Ausführung der Verträge von dem Angeklagten auch auf der Grundlage der Ergänzungs­vereinbarung weiterhin nur solche Leistungen abgefordert worden sein mögen, für die es keiner Approbation als Arzt bedurfte, kommt es für die Frage des Eingehungs­betruges nicht an. Ebenfalls rechtlich ohne Belang ist eine etwaige Anfechtbarkeit der zwischen dem DRK und der Stadt H. abgeschlossenen, zuvor durch den Angeklagten ausgehandelten Ergänzungs­vereinbarung nach § 123 BGB. Denn die Anfechtungs­möglichkeit setzte die Kenntnis von der fehlenden Approbation des Angeklagten voraus. Diese Kenntnis sollte sowohl der Stadt H. als auch dem DRK gerade verborgen bleiben und die Feststellungen legen nahe, dass bei Vertragsschluss jedenfalls ungewiss war, ob die getäuschten Vergütungs­pflichtigen (DRK und Stadt) sie vor Erbringung ihrer Gegenleistungen erlangen würden.

Schließlich kann den Urteilsgründen kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass der Angeklagte eine vertraglich geschuldete Leistung tatsächlich erbracht hätte, die zusätzlich, neben der Vergütung der für den Aufbau und Durchführung des Testzentrums sowie der Durchführung der Corona-Tests geschuldete Pauschale von 6.300 bzw. 6.000 € gerechtfertigt hätte. Vielmehr führte der Angeklagte „weiterhin“ die bereits zuvor von ihm erbrachten Tätigkeiten (Testabstriche, Organisation und Vornahme von Reihentestungen, Kontaktnachverfolgung) aus.

Die tatgerichtliche Annahme, dass auch nach Abschluss der Ergänzungs­vereinbarung ein Vermögensschaden weder beim DRK noch bei der Stadt H. eingetreten ist, liegt danach fern und hätte einer ins Einzelnen gehenden Erörterung bedurft, an der es fehlt. Angesichts der insgesamt unzureichenden Feststellungen zu den Vertragsgestaltungen im Einzelnen sowie der lückenhaften Beweiserwägungen zu dem – objektiven – Wert der vom Angeklagten erbrachten Leistungen vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechts­fehler nicht auszuschließen.

Hinweis (Rz 33)

Was die Frage nach einem Vermögensschaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB betrifft, wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer auch den Ausgangsvertrag und die diesbezüglich zwischen dem Angeklagten und dem DRK getroffenen mündlichen Vereinbarungen genauer als bislang geschehen in den Blick nehmen müssen. Denn nach den bisher getroffenen Feststellungen gingen die Parteien jedenfalls zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon aus, dass die Vornahme von Abstrichen im Rahmen von Testungen auf das Coronavirus nur durch ärztliches Personal vorgenommen werden durfte. Dies entsprach allerdings nicht der geltenden Rechts­lage. Denn nach § 24 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe t IfSG in der bis zum 18. November 2020 geltenden Fassung gab es zu diesem Zeitpunkt lediglich einen Arztvorbehalt für die Feststellung von COVID-19-Erkrankungen, nicht aber für die – hier vereinbarte – vorbereitende Probenentnahme. Damit war zwar schon aus diesem Grund für eine mögliche Übertragung der Grundsätze zur formalen Betrachtungs­weise beim Abrechnungs­betrug und der sich daraus ergebenden Null­bewertung kein Raum. Auch spricht hier – anders als möglicherweise für die Zusatz­vereinbarung– nichts dafür, dass die durch den Angeklagten zu erbringenden Leistungen allein aufgrund von dessen Minder­qualifikation auch bei wirtschaft­licher Betrachtungs­weise vollständig wertlos waren. Das Landgericht wird aber auch hier nochmals zu prüfen haben, ob zwischen der jeweils offensichtlich an Arzthonoraren orientierten Vergütung und dem wirtschaft­lichen Wert der versprochenen Leistungen ein Miss­verhältnis besteht. Dabei wird es in den Blick nehmen müssen, dass einer Testung durch einen Nichtarzt nach der in § 12 Abs. 2 Satz 1 der Coronavirus-Testverordnung des Bundes­ministeriums für Gesundheit in der seit dem 8. März 2021 geltenden Fassung zum Ausdruck gekommenen Wertung ein deutlich geringerer wirtschaft­licher Wert zukam.

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