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BGH, Urt. v. 29.06.23 – 3 StR 343/22: Zum mittäterschaft­lichen gewerbsmäßigen Bandenbetrug

Sachverhalt (Rn. 2 – 10):

Die Angeklagte schloss sich einer Gruppierung an, die aus der Türkei operierte und Betrugstaten im Stil eines „Falschen Polizeibeamten“ verübte. In diesem Betrugsschema nahmen Anrufer in der Türkei telefonisch Kontakt mit älteren Menschen in Deutschland auf und täuschten vor, Polizeibeamte zu sein. Sie behaupteten, dass Straftäter im Begriff seien, in die Wohnungen der Opfer einzubrechen oder in Kollusion mit Bankangestellten deren Ersparnisse zu stehlen. Die Opfer wurden aufgefordert, Bargeld und Wertgegenstände zu sammeln und diese vor ihren Wohnungen zur Abholung durch die vermeintliche Polizei bereitzustellen.

Die Angeklagte beteiligte sich an dieser Gruppierung und willigte ein, als sogenannte „Abholerin“ tätig zu sein. Sie wollte sich durch wiederholte Tatbegehungen eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen. Allerdings hatte sie Hemmungen, persönlich zu den Wohnungen der Opfer zu gehen, um Geld oder Wertgegenstände abzuholen. Daher rekrutierte sie eine Freundin, die Mitangeklagte, um sie bei den Abholungen zu unterstützen – ohne Wissen der Hintermänner und absprachewidrig. Während der Abholungen stand die Angeklagte in ständigem telefonischem Kontakt mit den Hintermännern in der Türkei, die sie zu den Wohnungen der Opfer lotsten. Die Angeklagte ging dabei davon aus, dass lediglich vor der Tür bereitgestellte Behältnisse abgeholt werden müssen. In 2 Fällen holte die Mitangeklagte lediglich bereitgestellte Taschen ab und brachte diese ins Auto zur Angeklagten. In 2 weiteren Fällen wurde diese jedoch von den Hintermännern angewiesen, an der Wohnungs­tür zu klingeln und sich die Wertgegenstände unmittelbare aushändigen zu lassen.

In einem weiteren Fall konnte die Angeklagte die Mitangeklagte nicht erreichen, sodass sie allein zum Abholort fuhr, wo sie angewiesen wurde, an der Tür zu klingeln, wobei sie sich als Polizeibeamtin ausgeben sollte. Sie kam dieser für sie überraschenden Anweisung nach.

In allen 5 Fällen lieferte die Angeklagte die Tatbeute im Anschluss an die Abholung absprachegemäß an die sogenannten „Logistiker“ der Gruppierung ab. Für ihre Mit­wirkung erhielt sie 8000 € als Tatlohn, welchen sie anteilig an die Mitangeklagte aushändigte.

Die ersten vier Taten der Angeklagten hat das Landgericht als Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandendiebstahl, §§ 263 I, V, 27 I StGB gewertet. Wegen der 5. Tat wurde sie gemäß § 263 I, V StGB schuldig gesprochen, weil sie ungeachtet des Gewichts ihrer Tatbeiträge innerhalb des Gesamttatgeschehens in ihrer Person alle Tatbestandsmerkmale erfüllte.

Aus den Gründen:

In den ersten vier Fällen hat das Landgericht zu Unrecht lediglich eine Beihilfe angenommen. Vielmehr ist ein mittäterschaft­lich begangener gewerbsmäßiger Bandenbetrug gem. §§ 263 I, V, 25 II StGB anzunehmen. (Rn. 13)

Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaft­lich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mit­wirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungs­handlung beschränkt. Stets muss sich diese Mit­wirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Erschöpft sich demgegenüber die Mit­wirkung nach dem Willen des sich Beteiligenden in einer bloßen Förderung fremden Handelns, so fällt ihm lediglich Beihilfe zur Last. Maßgebliche Kriterien hierfür sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen. (Rn. 14)

Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme, die Angeklagte sei lediglich Gehilfin gewesen, auch dann durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn man dem Tatgericht bei der vorzunehmenden Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe einen Beurteilungs­spielraum zubilligt, der nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Über­prüfung zugänglich ist. Denn ein solcher Beurteilungs­spielraum wäre angesichts der festgestellten konkreten Tatumstände vorliegend jedenfalls überschritten. Die gebotene Gesamtbetrachtung lässt allein die Wertung zu, dass die Angeklagte auch in den ersten vier Fällen als Mittäterin agierte:  (Rn. 15)

Zwar bezogen sich die unmittelbaren Tatbeiträge der Angeklagten in den ersten vier Fällen der Urteilsgründe darauf, gemeinsam mit der von ihr angeworbenen Mitangeklagten zu den Abholorten zu fahren und nach der Erlangung der Tatbeute durch diese die Vermögensgegenstände zu einem „Logistiker“ zu transportieren und diesem zu übergeben. Zudem war sie bei ihren Tathandlungen telefonisch eng an die Hintermänner in der Türkei angebunden. Gleichwohl waren die von ihr geleisteten Tatbeiträge und ihr Tatinteresse nicht derart untergeordneter Natur, dass ihr Agieren lediglich als Beihilfe gewertet werden könnte. Ihr kam eine ganz wesentliche Funktion zu, indem der jeweilige Taterfolg maßgeblich von ihrer Mit­wirkung abhing. „Abholer“ sind regelmäßig als Mittäter einzuordnen. Dies gilt auch dann, wenn ein „Abholer“ nicht selbst mit dem Tatopfer in Kontakt tritt und diesem (zumindest konkludent) vorspiegelt, ein Polizeibeamter zu sein, also nicht in eigener Person alle Tatbestandsmerkmale des Betrugs verwirklicht und schon deshalb aus Rechts­gründen Mittäter ist. (Rn. 16 f.)

Die Angeklagte setzte die Mitangeklagte zudem eigenmächtig und entgegen der Absprache ein; zudem verblieb sie während des Tätigwerdens der Mitangeklagten in deren unmittelbarer Nähe, hatte fortwährend eine Einflussnahme­möglichkeit auf diese und ließ sich die Tatbeute jeweils direkt nach deren Erlangung aushändigen. Schließlich hatte die Angeklagte ein unmittelbares eigenes Interesse am Gelingen der Taten. Denn sie agierte, um sich durch eine Partizipation an der jeweiligen Tatbeute eine eigene fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. (Rn. 18 f.)

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