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BGH, Beschl. v. 02.07.2015 – 2 StR 146/15: Zur Annahme verminderter Schuld­fähigkeit gem. § 21 StGB

Sachverhalt:

Die Angeklagten K und M wurden jeweils wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Beide waren während der Tat hochgradig alkoholisiert. Das sachverständig beratene LG hat bei M eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von „maximal 3,9 Promille“ zum Tatzeitpunkt festgestellt. Gleichwohl lehnte es die Voraussetzungen des § 21 StGB ab: Es gebe keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungs­satz darüber, dass ohne psychodiagnostische Beurteilungs­kriterien allein wegen einer bestimmten BAK in aller Regel von einer alkoholbedingt verminderten Steuerungs­fähigkeit auszugehen sei. Die vorliegenden psychodiagnostischen Beweiszeichen (detailreiche Erinnerungen des M, problemloser Abtrans­port eines Fernsehers, gezieltes Suchen nach Wertgegenständen, keine motorischen Ausfälle) ließen den Schluss zu, dass das körperliche und geistige Leistungs­vermögen des alkoholgewöhnten M nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen sei. M wendete sich mit seiner Revision gegen den Strafausspruch.

Aus den Gründen:

Dies hält nach den Ausführungen des BGH revisionsgerichtlicher Über­prüfung nicht stand: „Eine Blutalkoholkonzentration von maximal 3,9 Promille legt die Annahme einer erheblichen Herabsetzung der Hemmungs­fähigkeit sehr nahe, die nach ständiger Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs schon ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,0 Promille in Betracht zu ziehen ist (…). Maßgeblich für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, ist dementsprechend eine Gesamtwürdigung, in die sowohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Kriterien einzustellen sind. Bei einer starken Alkoholisierung lässt sich erheblich verminderte Schuld­fähigkeit nur ausschließen, wenn gewichtige Anzeichen für den Erhalt der Hemmungs­fähigkeit sprechen (…).“ (Rn. 5)

Die vom LG vorgenommene Würdigung, die sich vorrangig auf psychodiagnostische Kriterien stützt, erweise sich als nicht trag­fähig: „Dass der Angeklagte zielgerichtet nach Wertgegenständen gesucht und dem Mitangeklagten K beim Einpacken des Fernsehers geholfen hat, stellt sich lediglich als bloße Verwirklichung des Tatvorsatzes dar, Wertgegenstände aus der Wohnung zu entwenden; (…) doch ist bei – wie hier – alkoholgewöhnten Tätern zu berücksichtigen, dass äußeres Leistungs­verhalten und innere Steuerungs­fähigkeit durchaus weit auseinander fallen können (…) und sich gerade bei Alkoholikern oft eine durch „Übung“ erworbene erstaunliche Kompensations­fähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten zeigt (…).“ (Rn. 7)

Die Selbsteinschätzung des M, er sei nur angetrunken, aber nicht betrunken gewesen und die Aussage des A, er habe keine alkoholbedingten Auffälligkeiten bei M bemerkt, sind ohne relevanten Beweiswert. Hinzu treten aber weitere Umstände, die eine spontane und unbedachte Tatausführung und damit für eine Herabsetzung der Steuerungs­fähigkeit sprechen, die das LG unberücksichtigt ließ; Insbesondere kehrten K und M am Tattag nochmals zur Wohnung zurück um eine dort vergessene Hundeleine und die Fernbedienung des entwendeten Fernsehers zu fordern.

Die Aufhebung des Strafausspruchs ist auch auf K zu erstrecken: „Zwar kommt eine Erstreckung bei Rechts­fehlern im Zusammenhang mit der Schuld­fähigkeit regelmäßig nicht in Betracht, weil die Frage der Schuld­fähigkeit nur individuell zu bestimmen ist (…).Liegen die Aufhebungs­gründe aber nicht nur in der Person des Revisionsführers vor, sondern betreffen sie – wie hier – auch den nicht revidierenden Angeklagten, kommt eine Erstreckung in Betracht.“ (Rn. 9)

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