Sachverhalt:
Die Altenpflegerin A war als Wohnbereichsleiterin eines Altenheimes für den 70 jährigen B, einen schwerstkranken und schwerstpflegebedürftigen Palliativpatienten, der unter unheilbaren Beschwerden litt, zuständig.
Im Rahmen einer Essensausgabe um 11.30 Uhr erhielt B versehentlich die Medikamente des Patienten H , darunter ein blutsenkendes Mittel, welches den kritischen Zustand des B verstärken konnte. Die Verwechslung beruhte darauf, dass A in ihrer Funktion als Schichtleiterin die Medikamente entgegen dem Sicherheitsstandard und den hausinternen Anweisungen nicht in dem beschrifteten Dispenser belassen, sondern in kleine Becher umgefüllt hatte. Die D stellte in Anwesenheit der A die Becher jeweils auf das Essenstablett. Ungeklärt blieb, wer von beiden letztlich die Medikamente verwechselte. Bemerkt wurde die Verwechslung, als H die A alsbald nach der Essensausgabe darauf hinwies, dass sie die falschen Medikamente erhalten habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte B die Medikamente bereits eingenommen. A und D war bewusst, dass sie bei einer Medikamentenverwechslung sofort einen Arzt informieren müssen, unterließen dies jedoch.
Bei der Schichtübergabe um 13.30 Uhr informierte A den Mitangeklagten P über die Medikamentenverwechslung. Auf die Frage des P, ob schon ein Arzt informiert sei, antwortete A, dass dies nicht nötig sei. P solle zunächst abwarten und sich öfter über den Gesundheitszustand des B informieren. Als P den Gesundheitszustand des B überprüfte, stellte er einen auffallend niedrigen Blutdruck des B fest. Daraufhin klärte P die A telefonisch über den Zustand des B sowie über seine Pflicht auf, jetzt einen Arzt zu informieren. A versuchte ihn davon abzubringen. A bemerkte, sie hoffe, dass B endlich sterben könne. Gegen 15:21 Uhr informierte P die ambulante Palliativversorgung über die Zustandsverschlechterung des B, ohne die Medikamentenverwechslung zu erwähnen.
Erst fünf Tage später erzählte P dem zuständigen Hausarzt von der Medikamentenverwechslung. Drei Tage später verstarb B. Zwar konnte die Todesursache nicht geklärt werden; naheliegend war jedoch, dass die fehlerhaft verabreichten Medikamente maßgeblichen Einfluss auf den Todeseintritt hatten, wobei eine derartige Kausalität nicht nachgewiesen werden konnte.
Das LG hat die Tat als versuchten Mord nach § 211 StGB gewertet. Nach Auffassung des BGH hält der Schuldspruch der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Aus den Gründen:
Bereits die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes sei nicht ausreichend begründet. „Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.“ (Rn.14)
Der Vorsatz muss sich bei Unterlassungen neben der Untätigkeit auf die physisch-reale Handlungsmöglichkeit, den Eintritt des Erfolges, die Quasi-Kausalität sowie auf die die objektive Zurechnung begründenden Umstände beziehen. Hinsichtlich der Quasi-Kausalität genügt, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Eingriff könne den Erfolg abwenden. (Rn.16)
Hinsichtlich des Wissenselements des Eventualvorsatzes hat das LG rechtsfehlerfrei maßgeblich darauf abgestellt, dass A wusste, dass es sich um einen schwerstkranken Patienten handelte, und, dass sich ihr als erfahrene Pflegekraft aufdrängen musste, dass eine Medikamentenverwechslung eine abstrakte Lebensgefahr für B hervorrief. Damit musste A mit einem möglichen Todeseintritt rechnen.
Das LG hat dabei zurecht nicht die These des 5. Strafsenats des BGH (in seiner Entscheidung zum „Göttinger Organspende-Fall“), der Vorsatz verlange in Fällen der Quasi-Kausalität ein sicheres Wissen des Täters dahingehend, dass der (Rettungs-)Erfolg mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde, bestätigt. Mit diesen modifizierten Anforderungen an den Vorsatz bei hypothetischen Kausalverläufen vermischt der 5. Strafsenat nach Auffassung des 1. Strafsenats unzulässiger Weise Fragen des Vorsatzes mit Fragen des Beweismaßes für die Feststellung der Quasi-Kausalität als objektives Tatbestandsmerkmal. (Rn. 20 f.)
Bezüglich des Willenselementes wurde nicht berücksichtigt, dass A den P beim Schichtwechsel über die Medikamentenverwechslung informierte und diesen aufforderte, den Gesundheitszustand des B zu überwachen. Dieser Umstand könnte gegen eine billigende Inkaufnahme des Todes sprechen. Zudem war der Todeseintritt nicht für das Verdecken der Medikamentenverwechslung erforderlich; vielmehr käme es A zugute, dass der Tod gerade nicht eintritt. Diese vorsatzkritischen Umstände hat das Landgericht in einer Gesamtschau nicht erörtert. (Rn. 23)
Daneben hält die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht der rechtlichen Prüfung nicht stand. Verdeckungsabsicht setzt voraus, „dass der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder – im Falle des Unterlassens – die ihm zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine „andere“ Straftat zu verdecken. Dabei schließen sich Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz nicht grundsätzlich aus.“(Rn. 25)
Die Verdeckungshandlung selbst muss nach Tätervorstellung Mittel der Verdeckung sein. A unterließ es, einen Arzt herbeizurufen, um die Medikamentenverwechslung zu vertuschen, da sie arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchtete. Dabei war ihr bewusst, dass die Fehlmedikation den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erfüllte, womit das Unterlassen selbst Mittel der Verdeckung war.
Allerdings hat das LG ein mögliches Motivbündel nicht erkannt. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass die Verdeckungsabsicht auch mit anderen Beweggründen zusammenfallen kann (sog. Motivbündel); „sie muss aber für sich genommen Triebfeder des Täterhandelns sein“. (Rn. 27)
Indem A gegenüber P bemerkte, sie hoffe, dass B endlich sterben könne, könnte sich auch ein weiteres, altruistisch geprägtes Motiv der A für das Nichtunterrichten zeigen, nämlich dem Willen des B, der nur noch eine palliativmedizinische Behandlung wünschte, nachzukommen zu wollen. Dieses Motiv habe das Gericht nicht erkannt.