DE / EN

BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24: Zu den Zwangs­mitteln des § 81b I StPO

Sachverhalt (Rn. 18 ff.)

Aufgrund des gegen den Angeklagten bestehenden Verdachtes eines Verstoßes gegen das Berufsverbot gemäß § 145c StGB ordnete der Ermittlungs­richter gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 StPO die Durchsuchung der Wohnräume des Angeklagten einschließlich seiner Person an. Diese sollte unter anderem dem Auffinden von Mobiltelefonen dienen. Bei der Durchsuchung fanden die Polizeibeamten zwei Mobiltelefone. Da der Angeklagte nicht bereit war, die Mobiltelefone freiwillig zu entsperren, ordnete ein Polizeibeamter an, dass der rechte Zeigefinger des Angeklagten durch unmittelbaren Zwang auf den Fingerabdrucksensor der Mobiltelefone gelegt werden solle, um die Sperre aufzuheben. Die Maßnahme wurde entsprechend der Anordnung umgesetzt und die entsperrten Mobiltelefone wurden an den bei der Durchsuchung anwesenden Datensicherer übergeben.

Aus den Gründen

„Die Revision rügt die Verletzung des § 261 StPO. Die auf den Mobiltelefonen gespeicherten Daten unter­lägen einem Beweisverwertungs­verbot. Für das durch Anwendung unmittelbaren Zwangs mittels einfacher körperlicher Gewalt von einem Polizeibeamten vorgenommene Führen des Fingers des Revisionsführers auf den Fingerabdrucksensor der Mobiltelefone fehle es an einer Ermächtigungs­grundlage, die Maßnahme sei daher rechts­widrig. Sie stelle außerdem einen Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Straf­verfahrens dar und verletze den Revisionsführer in seiner Selbstbelastungs­freiheit.“ Dies hat keinen Erfolg. (Rn. 23, 26)

„Der einwilligungs­lose Zugriff auf ein Mobiltelefon mit dem Ziel, für die Zwecke strafrechtlicher Ermittlungen Zugang zu den darauf gespeicherten Daten zu erlangen, stellt einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbst­bestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG) sowie in die von Art. 7 und 8 GRC (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens bzw. Recht auf Schutz personenbezogener Daten) verbürgten Grundrechte dar. Der Versuch der Ermittlungs­behörden, [durch zwangs­weises Entsperren mittels Fingerabdruck] Zugang zu den auf einem Mobiltelefon eines Beschuldigten gespeicherten Daten zu erlangen, findet in § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO die erforderliche gesetzliche Ermächtigungs­grundlage […] und ist hiervon jedenfalls dann gedeckt, wenn – wie hier – eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient […] und der beabsichtigte Datenzugriff trotz seiner Eingriffsintensität verhältnismäßig ist.“ (Rn. 28)

  1. Das zwangs­weise Führen des Fingers auf den Fingerabdrucksensor, um Daten zu erlangen, ist zwar eine Maßnahme besonderer Eingriffsintensität. „Die besondere Eingriffsintensität folgt allerdings nicht schon aus dem Vorgang selbst. Die Maßnahme geht nach ihrem äußeren Erscheinungs­bild und dem damit verbundenen Eingriff in die körperliche Sphäre des Beschuldigten für sich genommen nicht mit erheblichen Belastungen einher. Dass der Körper des Beschuldigten dadurch, dass sein Finger als „Schlüssel“ zur Entsperrung des Mobiltelefons verwendet wird, zum Mittel der Über­führung werden kann, verletzt – entgegen der Auffassung der Revision – auch nicht die Selbstbelastungs­freiheit des Beschuldigten, da diese lediglich vor der aktiven Mit­wirkung an der eigenen Über­führung, nicht aber vor dem Dulden von Ermittlungs­maßnahmen schützt.“ (Rn. 31 f.) 

    Der einwilligungs­lose Zugriff auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten stellt aber einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbst­bestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG) sowie in die auch von Art. 7 und 8 GRC verbürgten Grundrechte dar. „Zwar erfolgt der Zugriff bei zwangs­weisem Entsperren des Mobiltelefons mittels Fingerabdrucks als offene Maßnahme, was es dem Beschuldigten ermöglicht, diesem entgegenzutreten und – etwa durch die Anrufung von Gerichten – zu überwachen. Allerdings befinden sich im Speicher von Mobiltelefonen regelmäßig eine Vielzahl an vertraulichen und höchstpersönlichen Daten. […] Der staatliche Zugriff auf einen solchen umfassenden Datenbestand ist folglich mit dem Risiko verbunden, dass die erhobenen Daten in einer Gesamtschau weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen bis hin zu einer Bildung von Verhaltens- und Kommunikations­profilen ermöglichen.“ (Rn. 33 f.) „Auch hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, das zwangs­weise Entsperren mittels Fingerabdrucks bzw. das Auslesen der so erlangten Daten eines Mobiltelefons sei generell unzulässig. […] Insoweit begrenzt die Beweiserheblichkeit im jeweiligen Einzelfall den zulässigen Umfang von Ermittlungs­maßnahmen.“ (Rn. 34)

  2. „Gesetzliche Ermächtigungs­grundlage für die zwangs­weise Entsperrung eines biometrisch gesperrten Mobiltelefons mit dem Finger der beschuldigten Person ist § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO. [..] Das Auflegen des Fingers eines Beschuldigten auf den Sensor des Mobiltelefons ist vom Wortlaut des § 81b Abs. 1 StPO umfasst. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für Zwecke der Durchführung des Straf­verfahrens oder für die Zwecke des Erkennungs­dienstes notwendig ist. Es kann dahinstehen, ob das Führen des Fingers auf den Sensor des Mobiltelefons bereits eine Aufnahme von Fingerabdrücken im Sinne des § 81b Abs. 1 StPO darstellt. Die Maßnahme erweist sich nämlich jedenfalls als „ähnliche Maßnahme“ im Sinne der Norm. Hierzu zählen solche, die der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit eines Beschuldigten dienen. [Dies] erfolgt beim Entsperren eines Mobiltelefons mittels biometrischer Daten durch den Sensor des Smartphones. Denn dieser gleicht die Merkmale des Fingers mit jenen Merkmalen ab, die – gleich­sam einem Schlüssel – im Gerätespeicher hinterlegt sind. Damit ist die Entsperrung eines Mobiltelefons mit dem Finger auch dem äußeren Anschein nach nicht von der von § 81b Abs. 1 StPO ausdrücklich gestatteten Aufnahme von Fingerabdrücken, […] zu unter­scheiden. In beiden Fällen wird der Finger des Beschuldigten – ggf. unter Anwendung unmittelbaren Zwangs – auf eine Vorrichtung gepresst […].“ (Rn. 35–38) 

    „Der Zulässigkeit der zwangs­weisen Entsperrung eines biometrisch gesperrten Mobiltelefons mit dem Finger der beschuldigten Person steht auch nicht entgegen, dass § 81b Abs. 1 StPO weder auf bestimmte (schwere) Straftaten beschränkt ist noch den durch den Fingerabdruck ermöglichten Zugriff auf die Daten des Mobiltelefons erfasst, sondern nur zur Vornahme des eigentlichen Entsperrvorgangs des Mobiltelefons ermächtigt. Denn insoweit wird § 81b Abs. 1 StPO flankiert durch § 110 Abs. 1 und 3, § 94 Abs. 1 und 2 StPO, die – wie bei nicht mit PIN oder Fingerabdrucksensor gesicherten Daten – ergänzende Rechts­grundlage für die Auslesung des Mobiltelefons und die anschließende Sicherung der Daten sind. […] Das Auslesen des Mobiltelefons als Ziel der Entsperrung ist eine dem Entsperren nachfolgende Maßnahme, die selbstständig an den für sie geltenden Regeln gemessen werden kann. […] Es handelt sich – sobald das Mobiltelefon entsperrt ist – um den klassischen Zugriff auf ein Mobiltelefon und die dort gespeicherten Daten.“ (Rn. 42 f.)

    „Es entspricht gefestigter Rechts­prechung, dass die auf Mobiltelefonen gespeicherten Daten gemäß § 94 Abs. 1 StPO beschlagnahme­fähig sind. Die regelhaft vor der Beschlagnahme erfolgende Durchsicht der auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten kann im Einklang damit auf § 110 StPO gestützt werden.“ (Rn. 44)

  3. Auch das verfahrensgegenständliche Vorgehen der Polizei ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Durchsuchung der Wohnräume und Person des Angeklagten wurden gem. §§ 102, 105 Abs. 1 StPO durch das Amtsgericht angeordnet. Die Maßnahme sollte dem Auffinden elektronischer Speichermedien wie Mobiltelefonen dienen. Damit wurde auch der Zugriff auf das Mobiltelefon, die Maßnahme nach § 81b Abs. 2 StPO, gebilligt. (Rn. 54–56)
  4. Die Maßnahme war hinsichtlich der Schwere des verdächtigen Verstoßes auch verhältnismäßig. (Rn. 57)

„Ohnehin ergäbe sich aus der zwangs­weisen Entsperrung kein Beweisverwertungs­verbot. [Dies ist] […] jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und des Gewichts des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Auch wenn die Strafprozess­ordnung nicht auf Wahrheits­erforschung um jeden Preis gerichtet ist, schränkt ein Beweisverwertungs­verbot eines der wesentlichen Prinzipien des Straf­verfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungs­verbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Hiervon ausgehend wären die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Lichtbilder auch dann verwertbar, wenn § 81b Abs. 1, §§ 94 ff. StPO zu Maßnahmen wie der hier in Rede stehenden nicht ermächtigen würde. Für die Durchsicht des Mobiltelefons und die spätere Beschlagnahme der Dateien war mit § 110 Abs. 1 und 3, § 94 StPO eine gesetzliche Grundlage vorhanden. Der Ermittlungs­richter hatte die Durchsuchung gerade zum Zwecke des Auffindens mobiler Datenträger angeordnet. Der Entsperrvorgang wahrte – wie dargelegt – ungeachtet seiner Eingriffsintensität die Verhältnismäßigkeit. Ein schwerwiegender, bewusster oder objektiv willkürlicher Rechts­verstoß ist nicht zu besorgen.“ (Rn. 59–61)

Zum Volltext