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BGH, Urt. v. 20.02.2024 – 2 StR 468/22: Zur Abgrenzung Vorsatz/Fahrlässigkeit sowie Tateinheit/Tatmehrheit

Sachverhalt (Rn. 2–17) 

Die Angeklagte trat in einem Zeitraum von mehreren Jahren als Ärztin mit zweifachem Doktortitel auf. Sie führte in diesem Rahmen Behandlungen durch und nahm ärztliche Aufgaben wahr. In einigen Fällen kam es zu Komplikationen, die mit­unter zum Tod des jeweiligen Patienten führten.  

Die Angeklagte hatte im Bewerbungs­verfahren eine gefälschte Approbations­urkunde und einen unrichtigen Lebens­lauf vorgelegt. Sie führte eigentlich den akademischen Grad „Diplom-Biologin“ und hatte zwar ein Zahnmedizinstudium begonnen, jedoch nicht abgeschlossen und war somit der Führung der Berufsbezeichnung „Ärztin“ nicht berechtigt. Zudem verfügte sie im relevanten Zeitraum nur über einen Doktortitel. 

Aus den Gründen 

Das Landgericht verurteilte die Angeklagte u. a. wegen Mordes bzw. versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen in vier Fällen.  

Bei der Verurteilung wegen Mordes bzw. versuchten Mordes hat das Landgericht den bedingten Tötungs­vorsatz der Angeklagten nicht trag­fähig begründet. (Rn. 21) 

„Nach ständiger Rechts­prechung ist bedingter Tötungs­vorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleich­gültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.“ Dies ist „im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.“ (Rn. 22 f.) 

„Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungs­delikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht.“ Die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist hierbei wesentlicher Indikator. Es kommt jedoch auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei die Prüfung auf den Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung bezogen sein muss. (Rn. 24) 

  1. Vorliegend hat das Landgericht den Tötungs­vorsatz in einem Fall umfassend begründet und hinsichtlich der anderen Tötungs­delikte darauf verwiesen. „Dies genügt den rechtlichen Anforderungen nicht.“ Die umfassende Begründung des eines Falles selbst ist fehlerhaft. Die Er­kenntnisse, auf die sich das Landgericht stützt, können den gesamten Tatzeitraum umfassen und haben daher für den konkreten Tatzeitpunkt keine oder nur eine begrenzte Aussagekraft. (Rn. 26 f.) 

  2. Es fehlt zudem an der für die Vorsatz­prüfung erforderlichen Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände. (Rn. 28)  

Insbesondere gilt dies für die Frage, ob fehlende offizielle Reklamationen – wenn es auch Hinweise von Kollegen auf Defizite gab – und das anfänglichen Begleitung durch Kollegen „das subjektive Zutrauen der Angeklagte zu ihren eigenen Fähigkeiten in einer für die Vorsatz­prüfung maßgeblichen Weise beeinflusst hat.“ (Rn. 29) 

Die Urteilsgründe lassen auch nicht erkenne, ob das Wahrnehmen von kritischen Situationen in einigen Fällen in den Blick genommen wurde. (Rn. 30) 

Auch die festgestellte Persönlichkeits­struktur hätte mehr in den Blick genommen werden müssen. (Rn. 31) 

Zudem ist die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts in Bezug auf die Feststellung von vier jeweils selbstständigen Taten des Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen rechts­fehlerhaft. Es liegt eine einzige Tat vor. (Rn. 33) 

„Der gesetzliche Tatbestand des § 132a StGB fasst grundsätzlich eine Mehrheit natürlicher Betätigungen, die auf demselben Entschluss beruhen, zu einer einheitlich bewerteten Straftat zusammen, wobei zeitliche Abstände zwischen den von einem Täter gewählten Gelegenheiten und/oder die Verschiedenheit der Sachlagen die Annahme einer Mehrheit von Taten begründen können.“ Es liegen nämlich keine maßgeblichen zeitlichen Abstände zwischen den verfassten Schreiben. Das Gepräge einer einheitlichen Tat ergibt sich aus dem Tätigkeits­feld der Angeklagten, wozu es auch gehört, eine Reihe von Schreiben als Ärztin mit doppeltem Doktortitel zu verfassen. (Rn. 34) 

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