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BGH, Urt. v. 07.05.2025 – 5 StR 744/24: Zum Rücktritt vom Versuch

Leitsatz: 

Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und der Rücktritt als unfreiwillig anzusehen 

Sachverhalt (Rn. 3): 

Der Angeklagte verdächtigte seinen Mitbewohner in einer Flüchtlings­unter­kunft grundlos, ihn heimlich beim Schlafen gefilmt zu haben. In der Nacht stach er dem Geschädigten, der ahnungs­los am Fenster saß, mit einem Messer in den Hals und nahm dessen Tod zumindest billigend in Kauf. Als das Opfer schreiend zu Boden stürzte, setzte der Angeklagte die Angriffe mit weiteren Stichen fort, die das Opfer teilweise abwehren konnte. 

Der durch die Schreie alarmierte Mitbewohner wollte dem Geschädigten helfen, wurde jedoch vom Angeklagten mit dem Messer bedroht. Auch als andere Zeugen eintrafen, stach der Angeklagte weiter zu und bedrohte einen Zeugen mit dem Messer. Erst danach ließ er von seinem Vorhaben ab, übergab das Messer der Security und gestand die Tat. Das Opfer überlebte schwer verletzt. 

Aus den Gründen:  

Die Annahme des LG, der Angeklagte sei vom unbeendeten Versuch des Tötungs­delikts strafbefreiend zurückgetreten, hält revisionsgerichtlicher Nach­prüfung nicht stand (Rn. 8). 

“Maßgeblich für die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch gem. § 24 Abs. 1 StGB ist das Vorstellungs­bild des Täters im Zeitpunkt unmittelbar nach Abschluss der letzten tatbestandlichen Ausführungs­handlung, der sogenannte Rücktrittshorizont. Ein Rücktritt vom Versuch scheidet von vornherein aus, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr herbeigeführt werden kann und der Täter dies erkennt oder subjektiv eine Herbeiführung des Erfolgs nicht mehr für möglich hält; dann liegt ein sogenannter Fehlschlag vor.” (Rn. 9) 

“Es fehlt schon an der konkreten Bestimmung der letzten mit Tötungs­vorsatz vorgenommenen tatbestandlichen Ausführungs­handlung als Bezugspunkt für den strafbefreienden Rücktritt. Das LG hat nur hinsichtlich des ersten Stichs einen bedingten Tötungs­vorsatz festgestellt,” obwohl im Hinblick auf die weiteren Stichbewegungen ein bedingter Tötungs­vorsatz nicht fernliegt (Rn. 11). Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist insoweit lückenhaft (Rn. 10). Es ist zu prüfen, ob der Angeklagte im Hinblick auf die bisherigen Anstrengungen, den Geschädigten zu töten, überhaupt noch eine erfolgreiche Vollendung der Tat unter Einsatz vorhandener Mittel für möglich hielt (Rn. 13).  

Rechts­fehlerhaft ist zudem die Annahme des LG, der Angeklagte sei freiwillig vom unbeendeten Totschlagsversuch zurückgetreten (Rn. 14).  “Freiwilligkeit i.S.v. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB bedeutet, dass der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangs­lage daran gehindert, noch durch seelischen Druck un­fähig geworden ist, die Tat zu vollbringen.” Allein die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungs­handlung ist maßgeblich. “Die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder der Täter erst nach dem Einwirken eines Dritten von der weiteren Tatausführung Abstand nimmt, stellt für sich genommen die Autonomie der Entscheidung nicht in Frage. Maßgebend ist, ob der Täter noch „aus freien Stücken“ handelt oder aber Umstände vorliegen, die zu einer die Tatausführung hindernden äußeren Zwangs­lage führen oder eine innere Un­fähigkeit zur Tatvollendung auslösen.” (Rn. 15)  

“Die Annahme, der Angeklagte habe aus seiner Sicht den Geschädigten „ohne zeitliche Zäsur oder Unter­brechung des unmittelbaren Handlungs­fortgangs“ weiter mit dem Messer angreifen und tödlich verletzen können, würdigt die festgestellten zeitlichen, örtlichen und konstellativen Gegebenheiten nicht ausreichend. [...] Damit, wie der Angeklagte, der sich binnen kurzer Zeit mit „eingriffsbereiten Augenzeugen“ und einem sich aktiv und erfolgreich verteidigenden Geschädigten konfrontiert sah, aus seiner Sicht die Tat im „unmittelbaren Handlungs­fortgang“ noch erfolgreich beenden konnte, setzt sich das Landgericht nicht auseinander.”(Rn. 16) Der Angeklagte gab in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Erscheinen der Zeugen die weitere Tatausführung auf und ging zum Securitybüro. Die Einschätzung, dass er sich keinem äußeren Zwang ausgesetzt gesehen habe, kann daher nicht nachvollzogen werden (Rn. 17). Zudem hätte das LG prüfen müssen, ob sich der Angeklagte nicht bereits dadurch zur Tataufgabe gezwungen gesehen hat, dass die drei anwesenden Zeugen und andere Bewohner ihn alsbald überwältigen oder angreifen würden. Dies könnte der Freiwilligkeit entgegenstehen (Rn. 18). 

“Der [...] rechts­fehlerfreie Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung kann nicht bestehen bleiben, weil ein versuchtes Tötungs­delikt hierzu in Tateinheit stehen würde.” (Rn. 19) 

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