AG Calw, Urt. v. 07.03.2024 – 8 Cs 33 Js 364/ 24: Zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort
Sachverhalt (Rn. 3–5)
Die Angeklagte saß auf dem Rücksitz eines in einem Parkhaus geparkten und sich in Ruhestellung, vollständig ausgeschaltet und mit Handbremse gesichert, befindenden Autos. Plötzlich vermeinte sie, die an einer schweren Arachnophobie leidet, auf ihrem Körper ein Krabbeln, welches sie einer Spinne zuordnete. In Panik stieß sie darauf die hintere rechte Fahrzeugtüre auf, so dass diese, wie von ihr aufgrund ihrer Erregung nicht vorhergesehen und wahrgenommen, gegen den auf dem rechts daneben gelegenen Parkplatz ordnungsgemäß abgestellten und verlassenen PKW des Geschädigten stieß und dort wohl eine helle Lackantragung und eine kleine Delle verursachte, was die Angeklagte aufgrund ihrer Phobie in diesem Augenblick nicht bemerkte. Nachdem die anderen im Auto befindlichen Personen keinerlei Schäden oder Auffälligkeiten am anderen Auto feststellen konnten, fuhren sie los.
Aus den Gründen
Der Tatbestand des § 142 StGB ist nicht erfüllt. (Rn. 7)
„Um das Merkmal des Unfalls im Straßenverkehr nicht ins Unbestimmte zu überdehnen, muss es jedenfalls so verstanden werden, dass es Konstellationen, wie die vorliegende, nicht erfasst, in denen eine nicht mit der Fahrzeugsteuerung befasste Person beim bloßen Aufenthalt im gesicherten, nicht in Bewegung befindlichen und jedenfalls auch nicht im „verkehrsanschließendem Betrieb“ befindlichen Kraftfahrzeug, ohne unmittelbaren Zusammenhang mit einem Verkehrsvorgang, aus einem nicht im Straßenverkehr liegenden Grund ohne Verletzung von besonderen straßenverkehrsrechtlichen Pflichten einen Schaden an einem anderen Kraftfahrzeug verursacht.“ (Rn. 8)
Ein Unfall ist ein plötzliches, unvorhersehbares bzw. ungewolltes Ereignis und hat in einer konstitutiven spezifischen Verknüpfung zum Straßenverkehr zu stehen: Der Unfall muss mit dem Straßenverkehr und seinen typischen Gefahren im Zusammenhang stehen. „Daraus folgt wiederum, dass allgemeine Gefahren einen Gegenbegriff dazu darstellen, die sich nur zufällig oder jedenfalls „beiläufig“ im Straßenverkehr verwirklichen oder aber unmittelbare Folge ausschließlich verkehrsfremden Verhaltens sind. (Rn. 10) […] Jedenfalls darf vom verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Bezug des Unfalls zum Straßenverkehr nicht so vage sein, dass er für einen unbefangenen Betrachter lediglich zufällig, wenn nicht willkürlich wirken würde, insbesondere wenn der verständige Dritte bei entsprechender Betrachtung nicht mit einer strafrechtlichen Erfassung rechnen würde.“ (Rn. 14)
„Alleine der an das Unfallereignis anschließenden Mobilität der Verursacher einer Personen- bzw. Sachschädigung im Straßenverkehr kann dabei nicht die entscheidende Rolle zukommen. Gleiches gilt für die isolierte Tatsache, dass ein sich im fließenden oder ruhenden Verkehr befindliches Fahrzeug irgendwie – egal in welcher Weise – am Ende beschädigt wurde. (Rn. 15) Der erforderliche Bezug des Unfallhergangs im Verhältnis zum Straßenverkehr kann sich als Ansatzpunkt, zunächst regelmäßig, an einem erkennbaren äußeren Erscheinungsbild oder faktischer Funktionalität des unfallauslösenden Vorgangs in Bezug auf den Straßenverkehr festmachen. Je geringer evident jedoch eine solche faktische Beziehung ausfällt und je weniger das Ereignis von einem Unfall ohne zwingenden Bezug zum Straßenverkehr heraustreten lässt, muss umso größer und einsichtiger ein klarer normativer Bezug über die Betriebsgefahr im Verkehr oder die spezifischen Pflichten für die Teilnehmer bzw. aus der Teilnahme am Straßenverkehr bestehen und erkennbar sein. (Rn. 16) Beim vorliegenden Schaden durch phobiebedingtem panischen Öffnen einer Türe eines noch völlig bewegungslosen, ausgeschalteten Kraftfahrzeugs liegt der Bezug zum Bild des Unfalls im Straßenverkehr fern. Das Fahrzeug fand sich weder in Bewegung noch war es zu diesem Zweck noch in Betrieb oder bereits gestartet.“ (Rn. 17)
„Die Situation stellt sich vorliegend auch anders als beim weiterhin in der Wertung umstrittenen Be- und Entladen von haltenden oder parkenden Fahrzeugen dar. Bei letzteren kann ggf. nach den konkreten Umständen ein innerer Zusammenhang mit der Funktion eines Kraftfahrzeugs als Verkehrs- und Transportmittel angenommen werden, der richtigerweise in der unmittelbaren Vorbereitung oder Beendigung des verkehrstypischen Transportzweckes besteht und in straßenverkehrsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten seinen Ausdruck finden kann. Entsprechend könnte auch beim konkreten Einsteigen in das bzw. Aussteigen aus dem Fahrzeug unmittelbar vor bzw. nach der Fahrt ein solcher Bezug angenommen werden. Dieser kann sich aber nicht einfach auf den gesamten Aufenthalt einer Person in einem Fahrzeug und dessen Unterbrechungen durch sie bezogen werden. In diesem Sinn hat sich keine straßenverkehrsspezifische Gefahr verwirklicht, mithin eine besondere Gefahr, die (gerade) dem Straßenverkehr eigen ist.“ (Rn. 19 f.)