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BGH, Beschl. v. 04.06.2024 – 2 StR 51/23: Zum Vermögensschaden

Sachverhalt (Rn. 3–15) 

Die Angeklagten betrieben ein Internet-Register, in welches Gewerbetreibende gegen Entgelt die Daten ihrer Betriebe eintragen lassen konnten. Um Nutzer für das Angebot zu finden, versandten die Angeklagten ungefragt Briefe an Unter­nehmen, Behörden und gemeinnützige Vereine, mit denen sie den Adressaten die Aufnahme in das Register anboten. Um möglichst viele Adressaten zur Annahme des Angebots zu bewegen, gestalteten die Angeklagten das Anschreiben bewusst so, dass es den Anschein erweckte, es stamme von einer Behörde. So sollten die Angeschriebenen darüber getäuscht werden, dass sie mit Rückübersendung des unter­schriebenen Schreibens einen Vertrag über eine kostenpflichtige Leistung abschlossen. Für den Fall, dass sie den Umstand der Zahlungs­pflicht bemerkten, sollten sie jedenfalls davon ausgehen, dass es sich um behördliche Gebühren handelte, die unabhängig von einem Vertragsschluss zu zahlen seien. Die Schreiben sollten rechtlich nicht angreifbar sein, weswegen die Angeklagten darauf achteten, dass das Schreiben bei sorgfältigem Lesen den Angebotscharakter erkennen ließ; diese Informationen aber im Übrigen durch eine entsprechende Gestaltung der Briefe kaum wahrgenommen werden würden. 
Nach Eingang der unter­zeichneten Antwortschreiben wurde seitens der Angeklagten eine Rechnung versandt, die von den Rechnungs­empfängern auch bezahlt wurde. Sodann erfolgte eine Aufnahme der Unter­nehmens­daten in das Internet-Register der Angeklagten. 

Aus den Gründen 

Ein Vermögensschaden tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaft­licher Betrachtungs­weise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaft­lichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung des Getäuschten. (Rn. 60)  

Im Falle eines Eingehungs­betruges sind der Geldwert des gegen den Täuschenden erworbenen Anspruchs und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen; der Getäuschte ist geschädigt, wenn dieser Vergleich einen Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Für die Beurteilung, ob ein Negativsaldo vorliegt, ist irrelevant, wie hoch der Verfügenden den Wert der ihm zugedachten Leistung subjektiv taxiert. Auch liegt ein Vermögensschaden nicht schon dann vor, wenn der Ver fügende infolge eines durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums eine Vermögensverfügung getroffen hat, die er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht getroffen hätte. Da der Betrugstatbestand das Vermögen und nicht die Dispositions­freiheit schützt, führen selbst erschlichene Unter­schriften nicht ohne Weiteres zum Eintritt eines Vermögensschadens. Insoweit ist es im Hinblick auf die Schadens­bestimmung auch ohne Belang, ob die einem Eingehungs­betrug zugrundeliegenden Verträge unwirksam bzw. nach § 123 BGB anfechtbar sind. (Rn. 61) Konkrete Feststellungen zum Markt- oder Verkehrs­wert der Gegenleistung  bzw. zur Wertlosigkeit der Gegenleistung sind jedoch nicht getroffen worden, sodass ein Vermögensschaden nicht belegt wird. (Rn. 62 f.) 

[Nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlages] kommt die Annahme eines Vermögensschadens auch bei objektiv gleich­wertigen Leistungen dann in Betracht, wenn der Erwerber die besprochenen Leistungen nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann. Hierfür finden sich im Urteil jedoch keine Anhaltspunkte (Rn. 66–68) 

Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob ein zivilrechtlicher Vertrag zustande gekommen ist, sodass nicht feststellbar ist, ob es aufgrund einer rechts­grundlosen Leistung auf der Ebene des Leistungs­austausches zum Eintritt eines Schadens gekommen sei. (Rn. 71) 

Im Ausgangspunkt besitzen die Angebotsschreiben jedoch grundsätzlich die Eignung, eine Täuschungs­handlung iSd § 263 I StGB zu begründen. (Rn 73) 

„Eine Täuschung ist jedes Verhalten mit Erklärungs­wert, das objektiv irreführt oder einen Irrtum unter­hält und damit auf die Vorstellung eines anderen einwirkt. Sie erfordert ein Verhalten des Täters, das objektiv geeignet und subjektiv bestimmt ist, beim Adressaten eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. Eine Täuschung muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch konkludent erfolgen. Das ist der Fall, wenn ein irreführendes Verhalten des Täters nach der Verkehrs­auffassung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist, weil es die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck bringt, sie aber durch das Verhalten des Täters miterklärt wird.“ (Rn. 74) 

„Nach der Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs kann eine Täuschung im Sinne des § 263 I StGB auch dann anzunehmen sein, wenn sich der Täter – isoliert betrachtet – wahrer Tatsachenbehauptungen bedient; sein Verhalten wird in diesen Fällen dann zur tatbestandlichen Täuschung, wenn er die Eignung der – inhaltlich richtigen – Erklärung, einen Irrtum hervor zurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein „äußerlich verkehrs­gerechten Verhaltens“ gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn also die Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist. Dies kann insbesondere auch durch die äußere Gestaltung von Angebotsschreiben geschehen, etwa wenn der Eindruck erweckt werden soll, es handele sich um eine amtliche Kostenforderung bzw. eine Rechnung für eine zuvor erbrachte Leistung. Der Annahme einer Täuschung steht in solchen Fällen nicht entgegen, dass die Adressaten bei sorgfältiger Prüfung den wahren Charakter eines Schreibens als Angebot hätten erkennen können.“ (Rn. 75) 

Weitere Ergänzungen des Senats für die neue Hauptverhandlung: 

  1. Auf die tatsächlich erfolgte Zahlung der Adressaten ist für die Tatbestandsverwirklichung erst abzustellen, wenn diese auf der Ebene des Eingehungs­betruges scheitert. Andernfalls stellt der Leistungs­austausch lediglich eine Vertiefung der Schädigung dar. (Rn. 84) 

  2. Auf Ebene des Leistungs­austausches muss erörtert werden, auf welcher Täuschung die Vermögensverfügung beruht (ursprüngliches Schreiben oder Erinnerungs­schreiben). Zudem wäre zu klären, ob die Verträge – etwa aufgrund eines fehlenden Erklärungs­bewusstseins oder eines Dissens – unwirksam waren und ob dies der Vorstellung der Angeklagten entsprach. Dann könnte in der Über­sendung der Rechnungen eine eigenständige Täuschung im Sinne des § 263 I StGB zu sehen sein, sofern in der Geltendmachung der Forderung eine Täuschung über Tatsachen und nicht nur eine Behauptung über die Rechts­lage zu sehen wäre. Auch hier wären jedoch Leistung und Gegenleistung nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung miteinander zu vergleichen. (Rn. 87) 

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