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BGH, Beschl. v. 29.05.2024 – 4 StR 138/22: Zur Tötung eines bereits sterbenden Menschen

Sachverhalt (Rn. 3–7) 

Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt als Funktions­oberarzt auf einer anästhesiologischen Intensivstation tätig. Während der zweiten Coronawelle im Herbst 2020 behandelte er dort den schwer an Corona erkrankten Geschädigten, welcher bereits an einem fast vollständigen Funktions­verlust der Lunge litt und an entsprechende Beatmungs­geräte angeschlossen war. Nachdem sich der Zustand des Geschädigten weiter verschlechtert hatte, wurde er vom Chefarzt Prof. Dr. B angewiesen, die Angehörigen zu informieren und im Gespräch einen mutmaßlichen Patientenwillen zu eruieren und zu klären, ob statt einer Weiterbehandlung eine palliative Sterbebegleitung gewünscht sei. Im Gespräch mit den Angehörigen erklärte er diesen bewusst wahrheits­widrig, dass die Behandlungs­möglichkeiten erschöpft seien und der Geschädigte bald sterben werde. Im Beisein der Angehörigen stellte er sodann die künstliche Beatmung des Geschädigten ein, woraufhin unmittelbar der Sterbeprozess des Geschädigten einsetzte. Etwa 40 Minuten später beschloss der Angeklagte den Sterbeprozess durch eine hohe Dosis Kaliumchlorid zu beenden. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Gabe einer hohen Dosis Kaliumchlorid im Sterbeprozess medizinisch nicht indiziert war; es kam ihm darauf an, hierdurch einen Herzstillstand und damit den Tod des Geschädigten herbeizuführen, welcher auch kurz darauf eintrat. 

Aus den Gründen 

Die Verurteilung wegen vollendeten Totschlags hält rechtlicher Nach­prüfung nicht stand, weil die Ursächlichkeit der Kaliumchloridgabe für den Todeseintritt nicht trag­fähig belegt ist. (Rn. 9) 

„Einen Menschen tötet (§ 212 Abs. 1 StGB), wer seinen Tod durch eine ihm zurechenbare Handlung vorsätzlich verursacht. Bei einem Menschen im Sterbeprozess genügt in objektiver Hinsicht, dass zu der bereits bestehenden, zum Todeseintritt führenden Kausalreihe ein Verhalten des Täters hinzutritt, durch das der Tod früher herbeigeführt wird.“ (Rn. 10) 

„Dies ist in tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich dann der Fall, wenn das Handeln des Täters unter den gegebenen Umständen auf der Grundlage anerkannter natur­wissenschaft­licher Gesetzmäßigkeiten als (notwendige) Bedingung für den (früheren) Todeseintritt beschrieben werden kann. Hiervon ist nach ständiger Rechts­prechung auszugehen, wenn die Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.  Ein Kausalzusammenhang in diesem Sinne ist erst zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fort­wirkung einer früheren Ursache beseitigt und unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg allein herbeiführt.“ (Rn. 11) 

Dieser Kausalzusammenhang wurde vorliegend beweiswürdigend nicht trag­fähig dargelegt. (Rn. 12 ff.) 

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