OLG Köln, Urt. v. 11.06.2024 – 1 ORs 52/ 24: Zur versuchten Erpressung
Leitsätze
- Die Ankündigung, ein rechtlich nicht gebotenes Handeln zu unterlassen, kann sich als Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen.
- Ein angedrohtes Übel ist indessen nicht „empfindlich“ im Sinne von § 253 StGB, wenn von dem Bedrohten erwartet werden kann, dass dieser der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.
Sachverhalt (Rn. 2, 8–12)
Der Angeklagte war als so genannter „Linemanager“ zur Ordnung und Entzerrung der damals erheblichen Warteschlangen am Flughafen für ein privates Sicherheitsunternehmen tätig. In dieser Funktion war er auch befugt, einzelne Personen in Bereiche zu führen, in denen sie weniger lange warten mussten. Der Zeuge B befand sich gemeinsam mit einem Freund bereits seit 1,5 Stunden in der Warteschlange für die Sicherheitskontrolle. Aus Angst seinen Flug zu verpassen, sprach B den Angeklagten, den er aufgrund seiner Kleidung als Mitarbeiter des Flughafens identifizierte, an, ob nicht ein „fast Check-in“ möglich sei. Der Angeklagte sagte dem Zeugen B er solle ihn nach draußen begleiten, wo er dem B sagte: „Ich riskiere dafür zwar meinen Job, aber wie viel kannst du machen? Einen Fuffi?“. Der Zeuge B wies dieses Angebot entschieden zurück, da er derlei „Bestechungsgelder“ generell ablehnte und begab sich zurück in die Schlange zu seinem dort noch immer wartenden Freund und brachte das Geschehen zur Anzeige.
Aus den Gründen
I. Das Amtsgericht hatte eine versuchte Erpressung verneint und den Angeklagten freigesprochen. (Rn. 14 ff.) Es ging zu Recht davon aus, dass ein angedrohtes Übel jedenfalls nicht empfindlich war. (Rn. 37)
1. „Eine Drohung liegt vor, wenn der Täter ein Übel in Aussicht stellt, auf dessen Eintritt oder Verhinderung er Einfluss hat oder zu haben vorgibt.“ (Rn. 43) Die fehlende Verpflichtung, den B an der Warteschlange vorbeizuführen steht einer Einordnung als Drohung nicht entgegen. „Denn auch in der Ankündigung, ein rechtlich nicht gebotenes Handeln zu unterlassen, kann die Drohung mit einem empfindlichen Übel liegen. Für den Motivationsdruck, der von einer Drohung ausgeht, kommt es nicht darauf an, was der Täter tun oder unterlassen darf, sondern darauf, welches Übel als Folge seines Verhaltens (angeblich) eintreten wird.“ (Rn. 45 f.)
2. „Unter einem Übel wird herkömmlich jede vom Betroffenen als nachteilig empfundene Veränderung der Außenwelt verstanden“ oder als „etwas Unangenehmes, Nachteiliges und den Umständen nach zu Vermeidendes, was das Opfer hinsichtlich seiner Motivation zu dem vom Täter gewollten Verhalten zu bestimmen vermag.“ Entscheidend ist der objektive Empfängerhorizont aufgrund des objektiv zu bestimmenden Erklärungswerts der Aussage und nicht die subjektive Wahrnehmung des Bedrohten. (Rn. 47) Hiernach hat der Angeklagte lediglich erklärt, dass B „in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der langen Wartezeiten vor der Sicherheitskontrolle das Risiko eingeht, seinen Flug möglicherweise zu verpassen, wenn ihnen nicht noch andere Leute zu Hilfe kommen.“ (Rn. 54) Eine Verschlechterung der Situation wurde nicht in Aussicht gestellt. (Rn. 56)
„Zu einer solchen Fallgestaltung, bei welcher der Täter mit einem erlaubten Unterlassen droht und sich die Situation für den Bedrohten nicht verschlechtert, wird in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten, hierin könne keine tatbestandsmäßige Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne von § 253 Abs. 1 StGB liegen. Solches sei nur denkbar, wenn mit der Vornahme der Handlung durch den Bedrohten ein sonst bevorstehendes Übel abgewendet werde („Eingriffs-Unterlassungsdrohung“), wenn also das angedrohte Unterlassen auf eine empfindliche Verschlechterung der Lage des Bedrohten hinauslaufe. In Fällen, in denen der Adressat – wie hier – lediglich vor die Wahl gestellt sei, sich eine erwünschte Veränderung einer Situation oder seiner Lebensumstände zu erkaufen oder es bei seinem – misslichen – Status quo zu belassen, sei hingegen davon auszugehen, dass nur der Handlungsspielraum des Bedrohten erweitert, nicht aber die Autonomie seiner Entschlüsse in strafwürdiger Weise angetastet werde. (Rn. 57) […] [Es seien allerdings] Fälle zu bedenken, in denen die Fortdauer eines Übels für den Adressaten ein besonderes, dem Eintritt eines neuen Übels gleichwertiges Gewicht erlange, oder in denen dem Adressaten eine Gegenleistung abverlangt werde, die für ihn eine besonders schwere Zumutung darstelle. (Rn. 58) Hiernach geht der Senat – mit dem Bundesgerichtshof – davon aus, dass auch in dem Unterlassen eines erlaubten Handelns, welches zu keiner Verschlechterung der Lage des Bedrohten führt und dessen Status quo unverändert lässt, grundsätzlich die tatbestandsmäßige Drohung mit einem Übel liegen kann. In einem solchen Fall liegt das Übel – entgegen der herkömmlich verwendeten Definition – allerdings nicht in einer „Veränderung der Außenwelt“, sondern stellt sich vielmehr eher als „etwas Unangenehmes, Nachteiliges und den Umständen nach zu Vermeidendes“ dar.“ (Rn. 59) Im Ergebnis braucht der Senat nicht entscheiden, ob der Angeklagte ein Übel in Aussicht gestellt hat.
3. „Denn selbst unterstellt, dass der Angeklagte dem Zeugen ein Übel angedroht hat, war dieses Übel für den Zeugen jedenfalls nicht empfindlich. (Rn. 63) Empfindliches Übel im Sinne von § 253 Abs. 1 StGB ist jeder Nachteil, der so erheblich ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Ob das, was angekündigt ist, ein empfindliches Übel ist, bestimmt sich auch hier aus der Sicht des Empfängers. (Rn. 64) […] Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt es indes an der Empfindlichkeit des Übels, wenn von dem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Zur Beurteilung der individuell zu erwartenden besonnenen Selbstbehauptung ist auf den konkreten (nicht auf einen durchschnittlichen) Bedrohten in seiner jeweiligen Situation abzustellen.“ (Rn. 66) Vorliegend konnte B in besonnener Weise standhalten.
II. Eine Strafbarkeit wegen Vorteilsnahme (§ 331 StGB) bzw. Bestechlichkeit (§ 332 StGB) ist auch nicht gegeben. Bei dem Angeklagten handelt es sich nicht um einen Amtsträger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB. Amtsträger ist hiernach, wer Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Zwar stellt die am Flughafen erforderliche Sicherheitskontrolle eine hoheitliche – mithin öffentliche – Aufgabe dar. Dazu gehört jedoch nicht die Organisation der Zuführung der Passagiere zu den Kontrollstellen vor dem eigentlichen Sicherheitsbereich. (Rn. 78 ff.)