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BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – 5 StR 296/14: Polizeiliche Vernehmung – Ermüdung bei seelischer und körperlicher Erschöpfung

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. November 2013 wurde aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung an die Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Das polizeiliche Geständnis vom 10. Dezember 2012 hätte nicht verwertet werden dürfen, weil es unter Verletzung des §136a StPO zustande gekommen ist. Es lag eine Ermüdung im Sinne von § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO vor, da die Angeklagte bei Ihrer Vernehmung seelisch und körperlich erschöpft war.

Sachverhalt:

 Bei Beginn der zum Geständnis führenden Vernehmung  hatte die 23 Jahre alte Angeklagte mindestens 38 Stunden nicht geschlafen. In den frühen Morgenstunden des 10. Dezember 2012 hatte sie nach verheimlichter Schwangerschaft allein und dementsprechend unter sehr schwierigen Umständen einen Jungen geboren, den sie aufgrund eines spontanen Entschlusses dann erstickte. Sie erlitt beträchtlichen Blutverlust und war körperlich wie seelisch entkräftet. Sie brach zusammen und musste ins Krankenhaus verbracht werden, wo ein Dammriss genäht wurde. Etwas später wurde sie erstmals von der Polizei als Beschuldigte vernommen. Sie gab an, dass das Kind tot geboren worden sei. Im Anschluss an die Vernehmung wurde der Angeklagten die vorläufige Festnahme erklärt. Danach erhielt sie zwei Baldriandragees, weil sie nicht zur Ruhe gelangte. Etwas später wurde sie erneut verantwortlich vernommen, wobei sie die Tat weiterhin leugnete. Daraufhin wurde ihr das Ergebnis der rechts­medizinischen Untersuchung mitgeteilt, wonach von einer Lebendgeburt auszugehen sei. Die Angeklagte stritt die Tat weiter ab. Um 21.25 Uhr begann eine nunmehr im Wortlaut schriftlich niedergelegte Vernehmung. Die weinende Angeklagte erklärte zu deren Beginn, es sei gerade ein bisschen viel für sie. Nach anfänglichem weiterem Bestreiten gestand sie die Tat. Die Vernehmung endete am Tattag um 23.25 Uhr.

Entscheidung:

„Bei diesem Verlauf liegt eine Fülle von gewichtigen Gründen vor, aufgrund derer sich die Annahme tiefgreifender Erschöpfung und daraus resultierender Besorgnis der Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung geradezu aufdrängt (…). Es lag auf der Hand, dass die Angeklagte einer „immer wieder und immer energischer“ geführten konfrontativen Befragung (…) wegen ihres Erschöpfungs­zustands nicht mehr in freier Willensbetätigung würde standhalten können. Demgemäß hätte es gewichtiger Anhaltspunkte bedurft, um eine Ermüdung im Rechts­sinn ausschließen zu können. Allein der subjektive Eindruck der vernehmenden Polizeibeamten, die Angeklagte habe „weder betäubt noch übermüdet“ gewirkt  (….) bzw. – gar – sie habe „einen den Umständen entsprechenden frischen Eindruck gemacht“ (…), kann dafür ebenso wenig genügen wie der Umstand, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Müdigkeit berief und Fragen sinnvoll zu beantworten in der Lage war, noch weniger, dass sie selbständig zur Toilette gehen konnte.“

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