EuGH v. 8.09.2015 – C-105/14: Beeinträchtigung der Verfolgbarkeit von Mehrwertsteuerhinzerziehung durch das italienische Verjährungsrecht
Ein nationales Gesetz, das einen Mitgliedstaat daran hindert, seine Pflichten aus Art. 325 AEUV gegenüber der Europäischen Union zu erfüllen, darf durch ein nationales (Straf-)Gericht nicht angewendet werden.
Das vorlegende Gericht stellte fest, dass durch die relativ kurzen Verjährungsfristen des italienischen Strafrechts eine Verfolgung von schweren Fällen der Mehrwertsteuerhinterziehung in Italien nicht gewährleistet werden könne. Die Verfahren dauerten regelmäßig so lange, dass vor dem rechtskräftigen Urteil durch alle Instanzen Verjährung eintrete. Das vorlegende italienische Gericht wollte nun wissen, ob es die nationalen Verjährungsvorschriften unangewendet lassen darf oder muss, um die Effektivität der Strafverfolgung zu gewährleisten.
Der EuGH nimmt einen Anwendungvorrang aus Art. 325 AEUV an und erklärt, dass die Verjährungsvorschriften eines Mitgliedstaates der effektiven Verfolgung von Mehrwertsteuerstraftaten nicht entgegenstehen darf. Ist dies doch der Fall, so darf das nationale Gericht diese Vorschriften, die der Durchsetzung der Ziele des Unionsrechts widersprechen nicht anwenden. Einen Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 49 Abs. 1 EU-GRCh liege darin nicht, weil die Verjährung nicht die Strafbarkeit der Handlung, sondern nur deren Verfolgbarkeit bestimme.