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BGH, Beschl. v. 20.09.2016 – 3 StR 84/16: Zur audiovisuellen Zeugenvernehmung gem. § 247a StPO

Leitsatz:

§ 247a Abs. 1 StPO gestattet die einzig zulässige Art und Weise der Videovernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung (sog. Englisches Modell). Andere Formen der audiovisuellen Zeugenvernehmung, insbesondere solche, bei denen der Vorsitzende des Gerichts sich mit dem Zeugen außerhalb des Sitzungs­zimmers befindet und diesen dort befragt (sog. Mainzer Modell), sind nicht zulässig.

Sachverhalt:

A war u.a. wegen Mordes an seiner Ehefrau E angeklagt. In der Hauptverhandlung wurde die 12-jährige Tochter T als Zeugin vernommen. Die Strafkammer ordnete unter Hinweis auf § 247a I 1 HS. 1 StPO an, dass sich T während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhalten solle, da die Vernehmung in Gegenwart des A einen schwerwiegenden Nachteil für ihr Wohl mit sich zu bringen drohe. Der Vorsitzende V der Strafkammer und T begaben sich sodann in einen gesonderten Video-Vernehmungs­raum. Dort belehrte und befragte V die T. Die entsprechenden Vorgänge wurden per Wort und Bild in den Sitzungs­saal übertragen, wo ein beisitzender Richter mit V telefonisch verbunden war, um auf Anregung der Verfahrensbeteiligten auf ergänzende Fragen hinzuwirken.

Aus den Gründen:

Zu § 247a I 1 StPO führt der BGH aus: „Nach § 250 Satz 1 StPO muss ein Zeuge grundsätzlich in der Hauptverhandlung körperlich anwesend sein und ist dort vom Tatgericht zu vernehmen. Von diesem Unmittelbarkeits­grundsatz macht § 247a Abs. 1 Satz 1 StPO eine Ausnahme. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. § 247a Abs. 1 Satz 3 StPO bestimmt, dass die Aussage des Zeugen zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungs­zimmer übertragen wird.“ (Rn. 11)

„Nach seinem Wortlaut gestattet § 247a Abs. 1 Satz 1 StPO folglich nur, dass der Zeuge sich nicht in dem Sitzungs­zimmer aufhält, in dem die eigentliche Hauptverhandlung stattfindet. Sie legitimiert es dagegen nicht, dass ein sonstiger Verfahrensbeteiligter, wie hier der Vorsitzende der Strafkammer, dessen un­unterbrochene Gegenwart in der Hauptverhandlung nach § 226 Abs. 1 StPO vorgesehen ist, das Sitzungs­zimmer verlässt, um den Zeugen anderswo zu vernehmen.“ (Rn. 12)

Die Vorschrift, die auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für das in Großbritannien praktizierte Modell beruhe, diene ausschließlich dem Ziel der schonenden Vernehmung besonders schutz­bedürftiger Zeugen. „Vor diesem Hintergrund verbietet sich (…) ein weites Verständnis des als Ausnahme­vorschrift ohnehin eng auszulegenden § 247a StPO dahin, dass die vom LG hier praktizierte Verfahrensweise einer „gespaltenen Hauptverhandlung“, bei welcher der Vorsitzende den Zeugen außerhalb des Sitzungs­saales vernimmt und die Befragung dorthin übertragen wird, noch von der Norm legitimiert ist. Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Betracht. § 247a Abs. 1 Satz 1 StPO regelt vielmehr die einzig zulässige Art und Weise der Videovernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung.“ (Rn. 14)

Der Verstoß stellt einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 StPO dar. „Es bedarf dabei keiner abschließenden Entscheidung, ob diese Fälle mit der bisherigen Rechts­prechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur als vorschriftswidrige Gerichtsbesetzung zu bewerten sind und deshalb § 338 Nr. 1 StPO anzuwenden ist (…) oder ob – wozu der Senat neigt – Fallkonstellationen der vorliegenden Art unter § 338 Nr. 5 StPO zu subsumieren sind, weil die Hauptverhandlung teilweise in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt.“ (Rn. 15)

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