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BGH, Beschl. v. 8.2.2018 – 3 StR 400/17: Zur Ermächtigungs­grundlage für sog. „stille SMS“

Amtlicher Leitsatz: Rechts­grundlage für das Versenden sogenannter „stiller SMS“ durch die Ermittlungs­behörden ist § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Der Revisionsführer rügt, die Verletzung der §§ 100a, 100b aF, § 261 StPO durch Verwertung von mittels sogenannter „stiller SMS“ erlangter Standortdaten, da hierfür eine Eingriffsermächtigung fehle.

Bei einer stillen SMS (auch „stealth ping“ genannt) wird eine spezielle Kurzmitteilung (SMS) an eine Mobilfunknummer gesandt, die zwar eine Verbindung mit dem angewählten Mobiltelefon erzeugt, jedoch von dessen Nutzer nicht bemerkt werden kann, da sie im Nachrichteneingang nicht angezeigt wird. Der Empfang der SMS bewirkt – wie eine gewöhnliche Telefonverbindung zu einem Mobilfunkgerät – eine Rückmeldung des Mobiltelefons bei der Funkzelle, in der es eingebucht ist. Nach einer Abfrage der Daten bei dem Netzbetreiber kann der ungefähre Standort des Mobiltelefons im Zeitpunkt des Empfangs der stillen SMS bestimmt werden.

Aus den Gründen:

„Der Einsatz stiller SMS und die Erhebung der so generierten Standortdaten kann […] nicht auf § 100a StPO gestützt werden. Die Erhebung mittels stiller SMS erzeugter Standortdaten wird schon deshalb nicht von § 100a StPO erfasst, weil sie nicht im Rahmen von Telekommunikation anfallen. Zwar schützt das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG nicht nur die Vertraulichkeit des Kommunikations­inhalts, sondern auch der näheren Umstände des Kommunikations­vorgangs, […] wozu als Verkehrs­daten auch die Standortdaten während der Kommunikation zu zählen sind. […] Bei dem Versand stiller SMS fehlt es jedoch an einem menschlich veranlassten Informations­austausch, der sich auf zu übermittelnde Inhalte bezieht. Es wird lediglich ein Datenaustausch zwischen technischen Geräten verursacht, der keinen Rückschluss auf Kommunikations­beziehungen oder -inhalte erlaubt.
Zudem erfasst § 100a StPO seinem Wortlaut nach nur die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, also die Auskunft über vorhandene Daten. Das Erzeugen solcher Daten, das eine aktive Einflussnahme auf den vorhandenen Datenbestand darstellt, geht jedoch darüber hinaus und bedarf daher einer eigenen Ermächtigungs­grundlage.“

Rechts­grundlage für das Versenden stiller SMS ist nach Ansicht des BGH auch nicht § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO.

„Zwar dürfen nach dieser Vorschrift auch ohne Wissen des Betroffenen außerhalb von Wohnungen sonstige […] technische Mittel verwendet werden […]. Jedoch dürfen die nach dieser Vorschrift zulässigen technischen Mittel nur außerhalb von Wohnungen verwendet werden. Die Strafverfolgungs­behörden haben jedoch weder Kenntnis davon noch Einfluss darauf, wo sich ein Mobiltelefon im Zeitpunkt des Empfangs einer stillen SMS befindet.“

Die Eingriffsbefugnis für den Einsatz stiller SMS ergibt sich vielmehr aus § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO.

„Diese Vorschrift sieht vor, dass bei einem durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht der dort näher bezeichneten Straftaten durch technische Mittel der Standort eines Mobilfunkendgerätes ermittelt werden darf, soweit es für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthalts des Beschuldigten erforderlich ist. Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Einführung dieser Vorschrift […] in erster Linie den sogenannten „IMSI-Catcher“ im Blick. Nach dem Wortlaut der Norm hat er deren Anwendungs­bereich aber gerade nicht auf diesen beschränkt, sondern durch die Wahl des Begriffs „technische Mittel“ erkennbar dem technischen Fortschritt Rechnung tragen und die Anwendbarkeit der Vorschrift auch für weitere kriminaltechnische Neuerungen offenhalten wollen. Dies ist verfassungs­rechtlich zulässig und verletzt insbesondere nicht die aus dem Rechts­staats­prinzip folgenden Anforderungen an Tatbestandsbestimmtheit und Normenklarheit, die für Vorschriften des Straf­verfahrensrechts gelten. Auch der konkrete Anwendungs­bereich der Norm ist durch den benannten Zweck des technischen Mittels zur Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkgeräts hinreichend bestimmt.“
„Die Gesetzgebungs­historie bestätigt die Zulässigkeit der Subsumtion der stillen SMS unter diese Vorschrift. Die stille SMS zur Ermittlung des ungefähren Standorts eines Mobilfunkgeräts wird meist observations­unterstützend eingesetzt. Nachdem § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO in seiner ursprünglichen Fassung die Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkendgeräts nur zur vorläufigen Festnahme oder Ergreifung des Täters auf Grund eines Haft- oder Unterbringungs­befehls zuließ, hat der Gesetzgeber […] diese Einschränkung gestrichen. Hierdurch wollte er ausdrücklich ermöglichen, dass technische Mittel im Sinne dieser Vorschrift auch zur Unterstützung von Observations­maßnahmen oder zur Vorbereitung einer Verkehrs­datenerhebung nach § 100g StPO eingesetzt werden können.“

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