BGH, Beschl. v. 13.12.2023 – AK 90/ 23: Zur Fortdauer der Untersuchungshaft, §§ 121, 122 StPO
Sachverhalt (Rn. 1–3; 7 ff.)
Der Angeschuldigte war bereits in den frühen 1990er Jahren nationalsozialistisch geprägt und Anführer der rechtsextremen Skinhead-Szene in S., zu der auch Sc. und Sch. gehörten. Am 18. September 1991 trafen sie sich in einer Gaststätte, wo sie über rechtsextremistische Anschläge auf Asylbewerberheime sprachen. Der Angeschuldigte äußerte dabei, dass auch vor Ort ein ähnlicher Angriff geschehen solle, wobei er aufgrund seiner Gesinnung in Kauf nahm, dass er aufgrund seiner einflussreichen Stellung die anderen zu einem Angriff veranlassen könnte.
Nach Verlassen der Gaststätte beschaffte sich Sc. Benzin und legte gegen 03:30 Uhr aus fremdenfeindlicher Motivation Feuer in einem nahegelegenen Asylbewerberheim. Die Flammen führten zum Tod eines Bewohners durch schwere Verbrennungen und Rauchvergiftung sowie zu Verletzungen zweier weiterer Bewohner, die aus Fenstern sprangen. Die übrigen 18 Bewohner konnten sich unverletzt retten.
Der Angeschuldigte hat sich dahin eingelassen, zwar tonangebend in der Szene gewesen zu sein, aber die ihm vorgeworfene Äußerung nicht getätigt zu haben.
Der Angeschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft, welche über sechs Monate hinaus aufrechterhalten und in Vollzug bleiben soll, mit dem Vorwurf der Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord in 20 tateinheitlichen Fällen.
Aus den Gründen
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate liegen vor. (Rn. 4)
1. Der Angeschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 S. 1 StPO), was auf mehreren Zeugenaussagen beruht. Eine abschließende Beurteilung bleibt der Hauptversammlung vorbehalten. (Rn. 5, 10)
Dem dringenden Tatverdacht steht ferner nicht entgegen, dass der bei dem Treffen vor dem Brandanschlag ebenfalls anwesende Sc. die dem Angeschuldigten vorgeworfene Äußerung bestritten hat. Aufgrund widersprüchlicher Aussagen und mit Blick auf die Aussageentwicklung seit der Tat kommt dem keine besondere Überzeugungskraft zu. (Rn. 11 f.)
Die sich nach der Beweislage ergebenden äußeren Umstände ermöglichen den Rückschluss auf die innere Tatseite. Ob sich die nachdrücklichen Worte nach dem Zusammenhang sowohl objektiv als auch subjektiv bereits auf den späteren Tatort und eine zeitnahe Ausführung bezogen oder eher allgemeinen Charakter hatten, bedarf für die Frage der Haftfortdauer keiner abschließenden Beurteilung. (Rn. 13)
2. Der Angeschuldigte hat sich mithin jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord in 20 tateinheitlichen Fällen strafbar gemacht. (Rn. 15)
„Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist – bei Erfolgsdelikten – grundsätzlich jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich. Beihilfe kann schon im Vorbereitungsstadium der Tat geleistet werden, selbst zu einem Zeitpunkt, in dem der Haupttäter zur Tatbegehung noch nicht entschlossen ist. Sie kommt auch in der Form sogenannter psychischer Beihilfe in Betracht, indem der Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung, sei es auch schon in seinem Tatentschluss, bestärkt wird. Die Annahme allein psychische Beihilfe bedarf dabei genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen sowie gegebenenfalls zu einer konkludenten Verständigung zwischen Haupttäter und diesem.“ (Rn. 16)
Der Vorsatz muss sich dabei auf die Unterstützungshandlung und die Vollendung einer vorsätzlich begangenen Haupttat beziehen. (Rn. 17) Insbesondere angesichts seiner leitenden Bedeutung in der rechten Szene liegt es nahe, dass der Angeschuldigte den mutmaßlichen Haupttäter in seinem Handeln bestärkte, was dem Angeschuldigten auch bekannt gewesen sein dürfte. (Rn. 20 f.)
3. Einer Ahndung der Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord steht gemäß § 78 Abs. 2 StGB keine Verfolgungsverjährung entgegen. (Rn. 22)
4. „Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergeben sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 a), § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 S. 1 GVG. Der spezifische staatsgefährdende Charakter folgt aus der Tatmotivation, die der Ablehnung des freiheitlich demokratischen Staats- und Gesellschaftssystems der Bundesrepublik mit seiner Gewährleistung des Ausschlusses jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft gegenüber Minderheiten entspringt. Die besondere Bedeutung der nach dem derzeitigen Ermittlungsstand aus einer rechtsextremistischen, ausländerfeindlichen Gesinnung heraus begangenen Tat ergibt sich daraus, dass diese geeignet war und ist, gerade bei ausländischen Mitbürgern und weiteren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Minderheiten ein Klima der Angst vor willkürlichen und gewaltsamen Angriffen zu schaffen; außerdem besteht die Gefahr einer Signalwirkung solcher Taten für mögliche Nachahmungstäter.“ (Rn. 25)
5. Es besteht jedenfalls der Haftgrund der Schwerstkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO. Vorliegend kann insofern die nach den Umständen des Falls nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr genügen. Die erhebliche Straferwartung und eine wahrscheinliche Unterstützung der rechten Szene bei einem etwaigen Untertauchen überwiegen dabei die Aspekte der Berufstätigkeit, Nutzung der eigenen Eigentumswohnung und der längeren Partnerschaft. Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO sind nicht ersichtlich. (Rn. 27 f.)
6. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer.
7. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 S. 1 StPO)