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BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23: Zur Richterablehnung (Vorbefassung)

Leitsätze

  1. Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen. 
  2. Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundes­anwalts brauchen nach Ablauf der Frist des § 349 III 2 StPO selbst dann nicht abgewartet werden, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind. Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Über­lassung der Akten bittet.

Sachverhalt (Rn. 2–7)

Der Generalbundes­anwalt hat am 31. Juli 2023 die Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt und die Akten dem Revisionsgericht zugeleitet. Der Antrag wurde dem Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechts­anwalt P. , ordnungs­gemäß zugestellt. Die Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO ist am 15. August 2023 abgelaufen.

Durch Schreiben eingegangen beim Bundes­gerichtshof am 5. August 2023 hat der zu diesem Zeitpunkt durch zwei Pflichtverteidiger vertretene Angeklagte die Mandatierung eines „Hamburger Anwalts“ angekündigt, der zum Verwerfungs­antrag des Generalbundes­anwalts Stellung nehmen werde und gebeten, „dem Unter­zeichner Fristverlängerung zum Antrag des Generalbundes­anwalts bis zum 2.9.23 zu gewähren“. Der Vorsitzende hat dem Angeklagten durch Schreiben vom 9. August 2023 mitgeteilt, dass der Senat nicht vor dem 2. September 2023 entscheiden werde.

Durch Schreiben, eingegangen am 23. August 2023, hat Rechts­anwalt S. aus M. die Verteidigung des Angeklagten angezeigt, Akteneinsicht und unter Hinweis darauf, dass erst nach erfolgter Akteneinsicht eine „Begründung der Revision“ gefertigt werden könne, eine „Fristverlängerung bis wenigstens zum 26. September 2023“ beantragt. Der Vorsitzende hat am 24. August 2023 die Aktenübersendung an Rechts­anwalt S. verfügt und ihm mit Schreiben vom selben Tag unter Bezugnahme auf die Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs mitgeteilt, dass die Frist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängerbar sei.

Durch Schreiben, eingegangen am 26. August 2023, hat der Angeklagte mitgeteilt, dass der „Schriftsatz an Herrn RA S. “ keinen Bestand haben könne, und um Fristverlängerung bis zum 27. September 2023 gebeten. Rechts­anwalt S. hat am 28. August 2023 seinerseits beantragt, ihm „zur Stellungnahme auf den Antrag des Generalbundes­anwalts vom 31.07.2023 eine Frist bis zum 28.09.2023 einzuräumen“. Am 5. September 2023 hat der Angeklagte erneut – nunmehr bis zum 30. September 2023 – eine Fristverlängerung zum Antrag des Generalbundes­anwalts beantragt, da seine Wahlverteidiger bis Ende des Monats mit Arbeit ausgelastet seien. Der Vorsitzende hat daraufhin dem Angeklagten schriftlich am 6. September 2023 mitgeteilt, dass eine Fristverlängerung nicht möglich ist.

Durch Schreiben, datiert auf den 5. September 2023, eingegangen am 11. September 2023, hat der Angeklagte „Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter am Bundes­gerichtshof Dr. Quentin“ erhoben. Er hat ausgeführt, die „Argumentation des Vorsitzenden mitgeteilt durch die Angestellten der Geschäftsstelle“ gehe „ins Leere“. Sowohl ihm persönlich als auch seinem Verteidiger stehe das Recht zu, auf den Antrag des Generalbundes­anwalts zu erwidern. Ihm persönlich sei dieser Antrag nicht zugesandt worden. Seine „Pflichtanwälte“ hätten keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Daraus resultiere nach seiner Betrachtung der Sach- und Rechts­lage ein „Rechts­anspruch auf neue Wahlverteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch“ gemacht und diesen dadurch missachtet habe. Aus diesem Grunde bestehe Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit.

Durch Schreiben vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und 21. Oktober 2023 hat der Angeklagte weitere Ablehnungs­gesuche gegen den Vorsitzenden Richter am Bundes­gerichtshof Dr. Quentin erhoben. In diesen Gesuchen wiederholt er der Sache nach seine bereits im Ablehnungs­antrag vom 5. September 2023 vorgetragene Bewertung, dass sowohl seinen zwischenzeitlich mandatierten Wahlverteidigern als auch ihm persönlich das Recht zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundes­anwalts verwehrt werde, was seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletze und Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden begründe.

Die Ablehnungs­gesuche bleiben ohne Erfolg.

Aus den Gründen (Rn. 12–20)

Sämtliche Ablehnungs­gesuche des Angeklagten richten sich ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Bundes­gerichtshof Dr. Quentin. Soweit der Befangenheitsantrag vom 8. Oktober 2023 mit „Befangenheitsantrag gegen erkennende Richter des 4. Strafsenats des BGH“ überschrieben ist, ergibt sich aufgrund seines ausschließlich auf prozess­leitende Anordnungen des Vor sitzenden rekurrierenden Inhalts und der in der Begründung des Gesuchs mehrfach gebrauchten Singularform („des Richters“) eindeutig, dass auch dieser Ablehnungs­antrag ausschließlich gegen den Vorsitzenden gerichtet ist. Weitere Mitglieder des Senats werden hingegen weder namentlich noch in sonst eindeutig bestimmbarer Weise bezeichnet.

Die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter am Bundes­gerichtshof Dr. Quentin vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und 21. Oktober 2023 sind bereits unzulässig.

Denn diesen Ablehnungs­gesuchen ist – auch eingedenk der gebotenen engen Auslegung des § 26a StPO – kein tauglicher Grund zur Ablehnung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu entnehmen. Bei dem Vorbringen handelt es sich ausschließlich um Wiederholungen der bereits im Gesuch vom 5. September 2023 ausgeführten eigenen Bewertung der Verfahrenslage durch den Angeklagten. Dies steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung dieser Ablehnungs­gesuche gleich.

Der Senat kann offenlassen, ob das Ablehnungs­gesuch vom 5. September 2023 zulässig ist und ihm die Behauptung eines konkreten Verhaltens des Vorsitzenden als Anknüpfungs­punkt der Ablehnung sowie die Voraussetzungen der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und deren Glaubhaftmachung (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2 StPO) noch hinreichend zu entnehmen sind. Der Ablehnungs­antrag ist jedenfalls unbegründet.

Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nur gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann. Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

Auch Rechts­fehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen. Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen.

Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unter­lassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit. Die in den Ablehnungs­gesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechts­anwalt S. , wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage. Zudem entspricht es der Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundes­anwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind. Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Über­lassung der Akten bittet. Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungs­aufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungs­grundsatzes sach­gerecht.

Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Über­mittlung des Antrags des Generalbundes­anwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungs­gemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundes­anwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung. Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Über­mittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich.

Angesichts dieser Sachlage besteht für den Angeklagten bei vernünftiger Würdigung kein Grund zu der Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

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