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BGH, Beschl. v. 18.10.2023 – 1 StR 222/23: Zum Zeugnisverweigerungs­recht § 52 I StPO

Sachverhalt (Rn. 3)

Die Nebenklägerin ist die Schwester des Angeklagten. Nachdem sie zunächst im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung, bei der aussagepsychologischen Sachverständigen und vor dem Ermittlungs­richter ausgesagt hatte, erklärte sie noch vor der Hauptverhandlung, künftig von ihrem Zeugnisverweigerungs­recht Gebrauch zu machen. Sie gestattete jedoch, dass ihre Angaben „bei der Frau aus S. " – gemeint war die aussagepsychologische Sachverständige – verwertet werden dürften. Die Kammer legte daraufhin die ermittlungs­richterliche Vernehmung der Nebenklägerin und deren Angaben bei der Sachverständigen ihrer Beweiswürdigung zugrunde. Explizit nicht berücksichtigt – auch nicht im Rahmen der Gutachten­erstattung – wurde die polizeiliche Vernehmung, da diese aus der Sicht des Landgerichts nicht von dem Einverständnis der Zeugin umfasst war (§§ 252, 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO).

Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in fünf Fällen, gefährlicher Körperverletzung in zehn Fällen sowie „vorsätzlicher“ Körperverletzung in 40 Fällen verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt auf eine Verfahrensbeanstandung hin zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO). Der Beschwerdeführer rügt zu Recht eine Verletzung von § 252 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO.

Aus den Gründen (Rn. 4–11)

Der Angeklagte hat die Rüge in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die den gerügten Verfahrensmangel begründenden Tatsachen können dem Revisionsvorbringen im Wesentlichen entnommen werden. Dass die Nebenklägerin neben ihren Aussagen bei der Sachverständigen und dem Ermittlungs­richter auch polizeilich vernommen worden ist, ergibt sich aus den Urteilsgründen. Die Rüge ist begründet. Die Kammer durfte die Angaben der Nebenklägerin bei der aussagepsychologischen Sachverständigen nicht verwerten.

Gestattet ein Zeuge trotz Ausübung seines Zeugnisverweigerungs­rechts aus § 52 Abs. 1 StPO die Verwertung früherer Aussagen, so kann er dies nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken. Ein Teilverzicht führt vielmehr dazu, dass sämtliche früheren Angaben – mit Ausnahme richterlicher Vernehmungen nach Belehr­ung über das Zeugnisverweigerungs­recht – unverwertbar sind.

Das Zeugnisverweigerungs­recht aus § 52 Abs. 1 StPO dient dem Schutz des Zeugen, durch seine der Wahrheitspflicht unter­liegende Aussage nicht zur Belastung eines Angehörigen beitragen zu müssen. Der Zeuge kann bis zur Hauptverhandlung frei entscheiden, ob seine frühere, vielleicht voreilige oder unbedachte Aussage verwertet werden darf, und hat das Recht, in der Hauptverhandlung das Zeugnis zu verweigern sowie seine frühere Entscheidung zu ändern. Beruft er sich auf sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO, unter­liegen daher sämtliche früheren Aussagen grundsätzlich einem Beweisverwertungs­verbot (§ 252 StPO). Ausgenommen hiervon sind lediglich richterliche Vernehmungen nach Belehr­ung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungs­recht.

Nach ständiger Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs kann der sich auf sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO berufende Zeuge darüber hinaus auf die Sperr­wirkung seiner Zeugnisverweigerung verzichten, sodass frühere Angaben durch die Vernehmungs­person oder den Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Denn das Beweisverwertungs­verbot aus § 252 StPO dient allein der Sicherung des mit der Gewährung des Rechts zur Zeugnisverweigerung verfolgten Zwecks und ist daher für den Zeugen insoweit disponibel, als er hierauf verzichten und durch die Gestattung der Verwertung früherer Angaben zur Sachaufklärung beitragen kann. Dem Umstand, dass sich der Zeuge hierdurch einer konfrontativen Befragung entzieht, ist durch eine entsprechend vorsichtige Beweiswürdigung Rechnung zu tragen.

Ob der Zeuge seine Gestattung – wie vorliegend – auf einzelne Vernehmungen beschränken kann, hat der Bundes­gerichtshof bislang nicht entschieden. Ein solcher Teilverzicht ist unzulässig. Denn ein Zeuge kann nur in dem Rahmen über das Beweisverwertungs­verbot verfügen, in dem es seinem Schutz dient. Schutz­zweck des § 252 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 1 StPO ist es indes ausschließlich, die Entscheidungs­freiheit des Zeugen dahin zu gewährleisten, ob er in einem Strafprozess gegen einen Angehörigen aussagen und so gegebenenfalls zu dessen Belastung beitragen möchte. Das bedeutet: Der Zeuge kann entscheiden, ob er sich als Beweismittel zur Verfügung stellen will oder nicht. Darüber hinaus hat er kein schützenswertes Interesse daran, den Umfang der Verwertbarkeit der von ihm bereits vorliegenden Angaben zu bestimmen, weshalb insoweit im Interesse des Angeklagten und der Allgemeinheit an der Wahrheitserforschung seinem Einfluss auf das Straf­verfahren Grenzen zu ziehen sind. Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Landgericht die Angaben der Nebenklägerin bei der aussagepsychologischen Sachverständigen seiner Beweiswürdigung nicht zugrunde legen. Denn der Verzicht der Zeugin auf das Verwertungs­verbot aus § 252 StPO war – wenngleich möglicherweise nur aus Unachtsamkeit – auf diese Vernehmung beschränkt und damit unwirksam. Die Kammer hätte ausschließlich die Angaben der Nebenklägerin vor dem Ermittlungs­richter zur Entscheidungs­findung heranziehen dürfen.

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