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BGH, Urt. v. 24.04.2024 – 2 StR 454/23: Zur Beweiswürdigung und „in dubio pro reo“

Sachverhalt: (Rn. 2–11)

Die Staats­anwaltschaft legt dem Angeklagten zur Last, gemeinschaft­lich mit den Mitangeklagten H. und D. versucht zu haben, eine andere Person zu töten, ohne Mörder zu sein, und ihn dabei mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben.

Der Angeklagte informierte die Mitangeklagten telefonisch darüber, dass A. eine Gaststätte verlassen habe. Daraufhin lauerten H. und D. A. bei einem Kinderspielplatz auf und griffen ihn gemäß einem gemeinsamen Tatplan mit einer Machete an, wobei sie ihm schwere Schnittverletzungen an verschiedenen Körperteilen zufügten. Der Angeklagte beobachtete den Angriff zunächst, trat jedoch später hinzu. Obwohl A. schwer verletzt war und versuchte zu fliehen, schlugen sie ihn weiterhin, und der Angeklagte schlug mit einer Machete mehrfach auf A.s Oberschenkel ein. Außerdem traten die drei mit beschuhtem Fuß gegen den Kopf des Opfers und schlugen weiter auf ihn ein, während sie sich gegenseitig mit Rufen wie „Bring ihn um!“ anspornten. Als eine Anwohnerin drohte, die Polizei zu rufen, ließen sie  den schwerverletzten A. zurück und flohen vom Tatort.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Am Abend des 18. Oktober 2021 begab sich A. nach dem Konsum mehrerer Flaschen Bier auf ein Schulhofgelände. Zur gleichen Zeit hatten der Angeklagte und die beiden Mitangeklagten H. und D. in der Wohnung eines Zeugen Alkohol und Drogen konsumiert. Gegen 23:35 Uhr verließen H. und D. die Wohnung und trafen draußen auf den Nebenkläger, woraufhin ein lautstarker Streit entstand. Der Mitangeklagte D., der eine Machete bei sich trug, griff A.  an und schlug mit der Machete in Richtung dessen Kopf. A. konnte den Schlag zwar abwehren, erlitt jedoch schwere Verletzungen an der Hand.

Der Geschädigte floh vom Schulhof, wurde aber von H. eingeholt, der ihn ebenfalls mit einer weiteren Machete auf den Rücken schlug, wodurch weitere schwere Verletzungen entstanden. Die beiden Mitangeklagten einigten sich daraufhin, gemeinsam auf A. einzuwirken. Der Geschädigte fiel zu Boden, und die beiden schlugen weiter mit Fäusten und der Machete auf ihn ein. Trotz der Gewalt konnte der Geschädigte erneut aufstehen und einige Schritte gehen.

An diesem Punkt trat eine unbekannte dritte Person hinzu, deren Identität die Jugendkammer nicht sicher feststellen konnte. Möglicherweise handelte es sich um den Angeklagten B., doch dies konnte nicht eindeutig geklärt werden. Alle drei Männer griffen nun gemeinsam den Geschädigten an, der erneut zu Boden ging. Dabei trat einer der Angreifer dem Opfer mit dem beschuhten Fuß ins Gesicht. Zudem fügte die unbekannte dritte Person dem Geschädigten drei tiefe Schnittwunden am Oberschenkel zu.

Als eine Anwohnerin rief, dass sie die Polizei alarmieren würde, flohen die Täter. Sie waren sich bewusst, dass sie den Geschädigten noch nicht vollständig getötet hatten, dies aber innerhalb kurzer Zeit hätten tun können. Das Tatmotiv blieb ungeklärt. Der Geschädigte erlitt schwere, potenziell lebens­gefährliche Verletzungen, dar­unter Schnittverletzungen an Hand, Arm, Rücken und Oberschenkel, die mit Frakturen und Sehnendurchtrennungen einhergingen.

Aus den Gründen:

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen. Die gegen den Freispruch gerichtet, auf Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staats­anwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdigung hält revisionsrechtlicher Nach­prüfung nicht stand. (Rn. 12)

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts, § 261 StPO; „die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechts­fehler unter­laufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungs­sätze verstößt. Rechts­fehlerhaft ist eine Beweiswürdigung bei einem Freispruch insbesondere auch, wenn der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt und nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist; denn für eine Verurteilung genügt ein nach der Lebens­erfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall einer Verurteilung. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat. “ (Rn. 13)

Vorliegend lässt sich aus den Urteilsgründen herauslesen (vgl. § 337 I StPO), dass das Landgericht von einem rechts­fehlerhaften Beurteilungs­maßstab ausgegangen ist. Die Beweiswürdigung ist widersprüchlich und lückenhaft und lässt die gebotene Gesamtwürdigung aller wesentlichen be- und entlastenden Indizien vermissen. (Rn. 14)

„In dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungs­regel und auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht anwendbar. Er kommt mithin erst bei der abschließenden Gesamtwürdigung zum Tragen. (Rn. 16)

Das Landgericht hat diesen Grundsatz auf die Aussage des Geschädigten angewandt, an dessen Glaubhaftigkeit es Zweifel hatte. Dabei wurde der Grundsatz rechts­fehlerhaft auf ein einzelnes Element der Beweiswürdigung (die Aussage des Geschädigten) angewandt; vielmehr hatte es „in dubio pro reo“ zu befolgen, wenn es nach abgeschlossener Würdigung sämtlicher Beweise nicht die volle Über­zeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte. (Rn. 17)

Des Weiteren ist die Beweiswürdigung lückenhaft, da nicht erörtert wurde, warum der Geschädigte den Angeklagten zu Unrecht als dritten Täter hätte belasten sollen, zumal der Angeklagte eingeräumt hatte, unmittelbar am Tatort gewesen zu sein und versucht zu haben, den Streit zu schlichten. (Rn. 19)

Schließlich fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller wesentlichen be- und entlastenden Indizien, wobei sämtliche vorhandenen Beweiszeichen erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abzuwägen sind; das Tatgericht hat lediglich einzelne Indizien mit der Aussage des Geschädigten abgeglichen. (Rn. 20)

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