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AG Erfurt, Urt. v. 18.09.2013 – 910 Js 1195/13 48 Ds: Notwehr gegen das Anpusten mit Zigarettenrauch

Sachverhalt:

Die Angekl. hatte dem Geschädigten ein Glas an den Kopf geworfen, nachdem dieser sie fortwährend mit Zigarettenrauch anpustete. Das AG wertete das Verhalten der Angekl. als Notwehr.

Zur Notwehrlage führt das AG aus:

„Das provozierende Anrauchen mit zuvor bereits inhaliertem und damit mit Atemluft und Speichelnebel vermengten Zigarettenrauch gegen das Gesicht der Angeklagten stellte einen rechts­widrigen Angriff nicht nur gegen die Ehre sondern auch gegen die körperliche Unversehrtheit der Angeklagten dar. Das Anblasen mit Zigarettenrauch und Spuckeanteilen gegen das Gesicht ist über die Grenze hinzunehmender Bagatellen hinaus geeignet das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Gesundheitsbeeinträchtigung resultiert dabei sowohl aus den karzinogenen Anteilen des Zigarettenrauches als auch aus den potentiellen Viren und Bakterien der Körperflüssigkeit „Spucke“ (...).“

Zur Notwherhandlung heißt es u.a.:

„Es war in rechtlicher Hinsicht auch geboten. Geboten ist eine Rettungs­handlung dann wenn sie – bei einer objektiven Ex-ante-Beurteilung – das relativ mildeste Mittel darstellt, d. h. es dürfen objektiv keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden haben welche genauso effektiv und ebenso wirksam den Angriff hätten beenden und die Gefahr beseitigen können (...). Dabei findet jedoch eine Abwägung der betroffenen Rechts­güter grundsätzlich nicht statt (...), was vorliegend aber der Annahme eines Notwehrrechts sowieso nicht entgegenstehen würde, da hier das angegriffene Rechts­gut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit der Angeklagten dem gleichen Rechts­gut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Zeugen gegenübersteht. Ein in diesem Sinne milderes, aber gleich effektives Mittel stand der Angeklagten in der konkreten Situation nicht zur Verfügung. Dabei war auch auf den Größen­unter­schied der 1,68 m großen Angeklagten zu dem deutlich größeren Zeugen abzustellen.“

Vgl. BeckRS 2013, 16490