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BGH, Urt. v. 28.1.2014 – 1 StR 494/13: Eigen­verantwortliche Selbstgefährdung – keine fahrlässige Tötung durch Substitutions­arzt

Leitsatz: 2. Die Stellung als behandelnder Substitutions­arzt eines opiatabhängigen Patienten als solche begründet keine Handlungs­herrschaft des Arztes bei missbräuchlicher Verwendung des verschriebenen Substitutions­medikaments durch den Patienten. Ein Arzt kann in solchen Konstellationen lediglich als Täter eines Körperverletzungs- oder Tötungs­delikts strafbar sein, wenn die selbstschädigende oder selbstgefährdende Handlung des Patienten nicht eigen­verantwortlich erfolgte.

Sachverhalt: Der angeklagte Arzt hatte einem langjährig drogenabhängigen Patienten Methadon zur eigen­verantwortlichen Einnahme mit nach Hause gegeben (Take-home-Verfahren), obwohl dieser aufgrund fortgesetzten Beikonsums verbotener Betäubungs­mittel unzuverlässig war. Der Patient injizierte sich eine Über­dosis Methadon und verstarb daran.

Das LG sprach den Angekl. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei; der BGH bestätigte diese Entscheidung aus den folgenden Gründen:

Eine „eigen­verantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung [unter­fällt] grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungs­delikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungs­delikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (…).

Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigen­verantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (einschließlich der Selbsttötung). Maßgebend ist damit die Eigen- bzw. Frei­verantwortlichkeit des Entschlusses des Rechts­gutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden oder zu verletzen.

Der BGH stellt zur Abgrenzung zwischen tatbestandlicher Begehung und tatbestandloser Teilnahme an der Selbstgefährdung darauf ab, ob „es an der Eigen­verantwortlichkeit des sich selbst gefährdenden oder verletzenden Rechts­gutsinhabers fehlt und deshalb eine zur Täterschaft des sich Beteiligenden führende – normativ zu bestimmende – Handlungs­herrschaft gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der sich beteiligende Dritte kraft überlegenen Fach­wissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (…). Ein solches überlegenes Wissen kommt vor allem bei einem Irrtum des sich Gefährdenden in Betracht (…); wobei es sich lediglich um für die Entscheidung zur Gefährdung oder Verletzung des Rechts­guts bedeutsame Irrtümer handeln kann. Darüber hinaus hat der Bundes­gerichtshof die Eigen­verantwortlichkeit ausgeschlossen, wenn der sich Gefährdende oder Verletzende infolge einer Intoxikation bzw. Intoxikations­psychose nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage ist (…).“

Dieses überlegene Sachwissen hat der Senat jedoch hier bei einem Patienten, der seit mehreren Jahren die ihm für die orale Einnahme verschriebenen Substitutions­mittel intravenös einnahm, in dieser Einnahmeform als erfahren war und die Risiken mithin kannte, verneint. Maßgebend sei hier „ob der sich selbst Gefährdende bzw. Verletzende das rechts­gutsbezogene Risiko seines Verhaltens zutreffend eingeschätzt hat. Dafür bedarf es – jedenfalls bei den sonstigen festgestellten Umständen des Einzelfalls – nicht der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme eines bei Über­dosierung als lebens­gefährlich bekannten Mittels und den Aus­wirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit. Dementsprechend hat der Bundes­gerichtshof auch bereits entschieden, dass es der Eigen­verantwortlichkeit nicht entgegensteht, wenn die sich selbst gefährdende Person bei grundsätzlich vorhandener Kenntnis über die Risiken der Einnahme von ihnen bekannten Stoffen nicht über sämtliche vorhandenen Risiken aufgeklärt war (…).“ Da auch keine Entzugserscheinungen nachgewiesen werden konnten, die die Entschlussfreiheit des Patienten beeinträchtigt hätten, lehnte der BGH die Tatherrschaft des Arztes ab.

Beachtlich ist schließlich noch die folgende Aussage des Senats: „Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (…)… allgemein die Rechts­auffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutions­arztes begründe eine „besondere Sorgfaltspflicht“ des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe – unabhängig von der Frei­verantwortlichkeit des Patienten – stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.“

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