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BGH, Beschl. v. 22.09.2015 – 4 StR 359/15: Zum Fehlschlag beim Rücktritt vom versuchten Tötungs­delikt, § 24 StGB

Sachverhalt:

Der Angekl. A fuhr mit der nicht angegurteten Nebenkl. N auf dem Beifahrersitz in seinem Pkw. Er beschleunigte sein Fahrzeug auf eine Geschwindigkeit von mindestens 99 km/h. Im weiteren Verlauf der Fahrt bremste A sein Fahrzeug heftig ab und steuerte es im Wege einer kontrollierten Lenkbewegung leicht nach rechts. Er fuhr gezielt auf das Heck eines am Straßenrand geparkten anderen Autos auf, wobei die Kollisionsgeschwindigkeit mindestens 60 km/h betrug. Hierbei verfolgte er die Absicht, N zu töten. Von der Kollision war im Wesentlichen die Beifahrerseite betroffen. Während A nur geringfügige Verletzungen erlitt, war N unmittelbar nach dem Aufprall eine Zeit lang nicht ansprechbar, wenn auch durchgängig bei Bewusstsein. Mehrere durch die Kollisionsgeräusche auf das Geschehen aufmerksam gewordene Zeugen alarmierten die Polizei.

Aus den Gründen:

Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des A hat Erfolg. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags kann nach dem BGH nicht bestehen bleiben, da das LG einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB nicht geprüft hatte.

Der BGH führt aus: „Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungs­vorgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (…). Fehlgeschlagen ist der Versuch erst, wenn der Täter erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unter­brechung des unmittelbaren Handlungs­fortgangs, sodass sich das Geschehen aus der Perspektive eines Dritten nicht mehr als ein einheitlicher Lebens­sachverhalt darstellen würde.“ (Rn. 6)

Zur Vorstellung des A nach der Kollision und dem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs trifft das LG keine Feststellungen. Der BGH „kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte im Rücktrittshorizont eine Vollendung der Tat mit anderen Mitteln nicht mehr für möglich hielt. Zwar hatten mehrere Zeugen infolge des Kollisionsgeräuschs die Polizei gerufen.“ Jedoch „muss davon ausgegangen werden, dass eine gewisse Zeit bis zum Eintreffen der Polizei verstrich.“ (Rn. 7) Es sei daher nicht fernliegend, dass der A seinen Tötungs­vorsatz noch hätte weiterverfolgen können, wenn er gewollt hätte.

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