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BGH, Urt. v. 16.09.2015 – 2 StR 71/15: Zum unmittelbaren Ansetzen beim Diebstahl

Sachverhalt:

Der Angekl. S sowie seine Mitangekl. St. und K. hatten sich darauf spezialisiert, Trickdiebstähle nach der „Wasserwerker-Methode“ zu begehen. Diese Methode zielt darauf ab, alleinstehende betagte Seniorinnen, die altersbedingt in ihrem Seh-, Hör-, Denk- und/oder Gehvermögen eingeschränkt sind, in ihren Wohnungen zu bestehlen. Die älteren Damen wurden zuvor ausgespäht. Der Tatablauf gestaltete sich so, dass S. und im Regelfall St., die beide ansonsten keiner legalen Erwerbs­tätigkeit nachgingen und so ihren Lebens­unterhalt bestritten, arbeits­teilig zusammenwirkten. S. übernahm die Rolle des „Ablenkers“, indem er an der Wohnungs­tür klingelte und sich als Mitarbeiter der Wasserwerke ausgab. Zur Legitimation wurde den zumeist sehbehinderten Opfern irgendein kleiner „Ausweis“ kurz vorgehalten. Unter dem Vorwand, die Wasserleitungen überprüfen zu müssen, verschaffte sich S. Zutritt zur Wohnung, ließ beim Betreten derselben die Wohnungs­tür offen stehen und lenkte das Tatopfer sodann ab, indem er Schreibarbeiten verrichtete. Währenddessen gelangte St. unbemerkt in die Wohnung und entwendete dort Bargeld sowie Schmuck.

Am 16.9.2013 klingelten S. und St. an der Haustür eines Mehrfamilienhauses bei der 74-jährigen H. um einen Trickdiebstahl nach der „Wasserwerker-Methode“ zu begehen. Nachdem diese ihnen die Hauseingangstür geöffnet hatte, gelangten sie ins Treppenhaus und so zur Wohnungs­eingangstür, wo S. sich gegenüber H als Wasserwerker ausgab und behauptete, etwas in der Wohnung überprüfen zu müssen. St. hielt sich derweil im Hintergrund, um nach Betreten der Wohnung durch S diesem unbemerkt zu folgen. Hierzu kam es jedoch nicht, da H erklärte, niemanden in ihre Wohnung einzulassen und die Wohnungs­eingangstür schloss, so dass die Angekl. ihr Vorhaben abbrechen mussten. Das LG hat die Angekl. von dem Vorwurf eines versuchten Diebstahls mit der Begründung freigesprochen, die Tat habe sich noch im (straflosen) Vorbereitungs­stadium befunden. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung habe noch nicht stattgefunden, weil die Angekl. keinen Zugang zu der Wohnung erlangt hätten und die Diebstahlsobjekte mangels Durchsuchung noch nicht näher konkretisiert gewesen seien.

Aus den Gründen:

Der BGH hat den Freispruch aufgehoben: „Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. (…) Es genügt, dass er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan schon bei ungestörtem Fortgang unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden. Dies ist der Fall, wenn der Täter die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht. Nicht als Zwischenakte [zu qualifizieren] (…) sind Handlungen, die (…) an diese [die Tathandlung] zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr (…) eine natürliche Einheit bilden; dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind u.a. die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechts­gutgefährdung.

(…) ein unmittelbares Ansetzen (…) [liegt] vor, wenn ein Diebstahl aus der Wohnung eines Opfers dadurch ermöglicht werden soll, dass sich ein Täter unter einem Vorwand Einlass verschafft, um das Tatopfer abzulenken und dann zu bestehlen. Der Angriff auf den fremden Gewahrsam beginnt in diesen Fällen bereits mit dem Begehren um Einlass. Nach der zuvor bereits bei anderen Opfern vielfach erfolgreich praktizierten Vorgehensweise hatten die Angeklagten hier die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ mit dem nicht unter einem Rücktrittsvorbehalt stehenden unmittelbaren Einwirken auf das zuvor bereits ausgespähte Tatopfer an der Wohnungs­tür überschritten. Zu diesem Zeitpunkt war auch eine konkrete Gefährdung des Opfervermögens bereits eingetreten. Dass das Gelingen und damit die Vollendung der Tat letztlich noch von dem Erfolg der Täuschung und von dem Auffinden von Wertgegenständen innerhalb der Wohnung abhängig war, und der Diebstahl hier „ohne Zutun“ der Angeklagten gescheitert ist, hindert nicht den Eintritt ins Versuchsstadium.“

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