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BGH Urt. v. 3.6.2015 – 2 StR 473/15: Tödlicher Nachbarschafts­streit: Notwehrrecht und Notwehrexzess bei schuldhaft provoziertem Angriff

1. Wer eine Notwehrlage gezielt herausfordert und noch angesichts einer unmittelbar bevorstehenden körperlichen Auseinandersetzung weiterhin Beleidigungen und Provokationen äußert, ist in seiner Notwehr eingeschränkt.
2. Die Provokation einer Notwehrlage steht der Anwendung von § 33 StGB nicht grundsätzlich entgegen.
(Leitsätze des Bearbeiters)

Sachverhalt: Ausgangspunkt der Entscheidung ist ein völlig ausgearteter Nachbarschafts­streit, in dem es bereits zu wechselseitigen Beleidigungen und körperlichen Auseinandersetzungen gekommen war. Der Streit eskalierte als der Nebenkl. den Angekl. mit einem Axtstiel attackierte. Der Angekl. schlug dem Nebenkl. mit einem Spaten buchstäblich „den Schädel ein“.

Aus den Gründen:

Zur Erforderlichkeit der Notwehr:
Der BGH stellt hierzu fest (Rn. 16): "[D]as Notwehrrecht [erfährt] jedoch dann eine Einschränkung, wenn der Verteidiger gegenüber dem Angreifer ein pflichtwidriges Vor­verhalten an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalles den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt [...], wenn mithin zwischen dem sozialethisch zu missbilligenden Vor­verhalten und dem rechts­widrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und es nach Kenntnis des Täters auch geeignet ist, einen Angriff zu provozieren [...]. Wer durch ein solchermaßen sozialethisch zu beanstanden
des Vor­verhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebens­gefährliches Mittel einsetzen, auch wenn er den Angriff nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebens­gefährdenden Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutz­wehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt [...].“

Zur Anwendbarkeit von § 33 StGB:
Die Entscheidung des Landgerichts hat der BGH dennoch aufgehoben: § 33 ist entgegen der Ansicht des LG nicht bereits deswegen unanwendbar, weil es sich um einen schuldhaft mitverursachten, provozierten Angriff handelte. Auch hier komme ein Handeln aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken in Betracht.

Der 2. Strafsenat macht allerdings deutlich, dass für die Anwendung von § 33 StGB hohe Hürden bestehen: „Die Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Furcht ist entschuldigt, wenn bei dem Täter ein durch das Gefühl des Bedrohtseins verursachter psychischer Ausnahmezustand mit einem solchen Störungs­grad vorliegt, dass er das Geschehen nur noch in erheblich reduziertem Maße verarbeiten kann [...].“

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