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AG Haldensleben, Urt. v. 26.09.2016 – 3 Cs 224/15 (182 Js 32201/14): Zur Rechtfertigung eines Hausfriedensbruchs durch Tierschützer gem. § 34 StGB

Sachverhalt:

Die Angeklagten erhielten den Hinweis, dass in der Anlage der Geschädigten G Verstöße gegen die Tierschutz­nutztierhaltungs­verordnung vorliegen sollen. In dem Wissen aus vorherigen Fällen, dass eine Anzeige ohne Beweise zu keinerlei Erfolg führen würde, entschlossen sich die Angekl. in die Anlage der G einzusteigen und die dortigen Verstöße gegen die Tierschutz­nutztierverordnung bildlich festzuhalten, um Beweismaterial zu sammeln. Sie zogen sich neue und desinfizierte Einwegkleidung an und desinfizierten sich sowie die mitgeführte Kamera. Sodann betraten sie die Anlage um dort Filmaufnahmen zu fertigen. Sie fanden entsprechend des Hinweises diverse Verstöße gegen die Tierschutz­nutztierverordnung vor und dokumentierten diese filmerisch.

Das AG entschied, der Hausfriedensbruch sei nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt, da die Angekl. in Un­kenntnis einer konkreten Notstandlage gehandelt haben. Sie hatten nur einen un­spezifischen Hinweis, dass es Missstände in der Anlage geben würde. Konkrete Anhaltspunkte für eine Notstandslage lagen nicht vor, so dass es an dem subjektiven Rechtfertigungs­element fehlt.

Aus den Gründen:

„Allerdings haben die Angeklagten einen Erfolg herbeigeführt, den die Rechts­ordnung als nicht strafbar ansieht. Denn die übrigen Voraussetzungen des Notstandes gemäß § 34 StGB lagen vor. Insbesondere lag eine Notstandslage vor. Es bestand eine gegenwärtige Gefahr für notstands­fähige Rechtgüter. […] Da der Tierschutz mittlerweile als Staats­chutz­ziel Eingang in die Verfassung gefunden hat und in dem Tierschutz­gesetz sowie der Tierschutz­nutztierhaltungs­verordnung konkrete Regelungen bzgl. des Tierschutzes getroffen worden sind, ist das Wohl der Tiere nach Auffassung des Gerichts ein notstands­fähiges Rechts­gut. Es bestand auch eine gegenwärtige Gefahr. Eine Schädigung aufgrund der gegebenen Umstände war nicht nur wahrscheinlich, sondern konkret auch eingetreten. […] Wie […] dargelegt waren die Kastenstände zu gering. Es lagen auch objektiv weitere Verstöße gegen die Tierschutz­nutztierverordnung vor.“

Der Einstieg, das Filmen, die Strafanzeige und die Veröffentlichung des Bildmaterials waren die geeigneten Mittel um die Missstände abzustellen. Die Angekl. haben auch das mildeste Mittel gewählt. Das Betreten der Anlage diente dazu, die dortigen Zustände zu filmen, um dann mit Hilfe des Videomaterials Strafanzeige gegen den Betreiber der Anlage erstatten zu können. Außerdem sollten die Aufnahmen veröffentlicht werden, um die Verbraucher über die Zustände in Schweinezuchtanlagen zu informieren und zusätzlich Druck auf die Behörden auszuüben, tatsächlich tätig zu werden.
Es ist zwar grundsätzlich primär staatliche Hilfe in Anspruch und das Recht nicht selbst in die Hand zu nehmen. Da aber nicht davon auszugehen war, dass mit Hilfe der staatlichen Stellen ein Erfolg herbeizuführen war, war die Dokumentation der Zustände in der Anlage in diesem Ausnahmefall das mildeste Mittel, zumal sich die Angekl. auch entsprechend vorbereitet haben.
Das Interesse der betroffenen Tiere an ihrer Unversehrtheit und an ihrem Recht auf ein Leben ohne Bedrängnis entsprechend den geltenden Regeln der Tierschutz­nutztierhaltungs­verordnung überwiegt vorliegend das Interesse der Betreiber der Anlage an seinem Hausrecht. Die Angekl. haben weder Privat­bereiche betreten noch fremdes Eigentum zerstört.

„Liegen die übrigen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB vor, bleibt die Tat zwar rechts­widrig. Es ist allerdings so, dass das Handlungs­unrecht entfällt. Es verbleibt nur das Unrecht des Versuchs. Im vorliegenden Fall des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Abs. 1 StGB ist der Versuch allerdings nicht strafbar, so dass die Angeklagten […] straffrei sind.“

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Anmerkung: Am 11.10.2017 wurde der Freispruch des Amtsgerichts in der Berufungs­instanz durch das Landgericht Magdeburg bestätigt. Zum Volltext