Sachverhalt:
N hatte den wohnsitzlosen A vorübergehend in seiner Wohnung aufgenommen. Nachdem beide gemeinsam Kokain konsumiert hatten, wollte A die Wohnung verlassen, N hielt ihn aber zurück. Als N jedoch später am Abend glaubte, A wolle ohne ihn „Crack“ konsumieren, packte er A am Arm, um ihn aus der Wohnung zu werfen. A fragte ihn, was „das“ solle. Daraufhin begann N, dem A mit der flachen Hand auf die Brust zu schlagen und ihn zum Wohnungsausgang zu drängen. Die Schläge des N führten zu Brustschmerzen bei A. Im Flur schlug N weiter auf A ein, worauf sich dieser ins Schlafzimmer zurückzog. Dort erblickte er ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 7 cm. Er ergriff dieses Messer, klappte es auf und hielt es dem N vor, um ihn von weiteren Schlägen abzuhalten. N gab sich unbeeindruckt. Auch als A rückwärts auf das Bett fiel, schlug N weiter auf ihn ein. A stand auf und stach dem N mit dem Messer in den Arm, um dessen Angriff zu beenden. Da N trotz weiterer Stiche in seine Arme nicht aufhörte auf A einzuschlagen, stach dieser schließlich ungezielt und wuchtig zweimal auf den Oberkörper des N ein. Er traf ihn in den Herzmuskel und den Magen. Daraufhin ließ N von A ab. A floh aus der Wohnung, setzte aber einen Notruf ab, der zur Rettung des N führte. Das LG verurteilte N wegen gefährlicher Körperverletzung.
Aus den Gründen:
Der BGH hat durchgreifende rechtliche Bedenken bzgl. der Notwehr gem. § 32.
Zur Erforderlichkeit: „Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, das Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Der Angegriffene muss sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist.“ (Rn. 10) „Nach dem Rechtsbewährungsprinzip des Notwehrrechts entfällt dieses Recht im Allgemeinen auch nicht wegen der Möglichkeit einer Flucht vor dem Angreifer.“ (Rn. 12)
A stand laut BGH keine gleich geeignetes, milderes Mittel zur Verfügung: „Die Annahme des LG, der Angekl. hätte dem Nebenkl. anbieten können, Kokain für ihn zu besorgen, um ihn zu beruhigen, geht daran vorbei, dass der Angekl. den Grund für die Erregung des Nebenkl. (…) nicht kannte und von dessen Angriff überrascht war.“ (Rn. 15) „Für die Annahme, dass es dem Angekl. möglich gewesen sei, den Angriff mit körperlicher Gewalt ohne Einsatz des Messers zu unterbinden, ohne ein Fehlschlagrisiko oder eine Eigengefährdung in Kauf zu nehmen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage.“ (Rn. 16)
Zur Gebotenheit: „Ein soziales Näheverhältnis, wie eine Wohngemeinschaft, führt nicht allgemein zu einer Beschränkung des Notwehrrechts. (…) Die Fallgruppe der besonderen persönlichen Beziehungen, die zu einer sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts führen, ist (…) auf Fälle einer engen familiären Verbundenheit oder eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu beschränken (…).“ (Rn. 18)
Die Schuldunfähigkeit des N hätte jedenfalls nicht dazu geführt, „dass der Angekl. eine anhaltende Serie von Schlägen unbegrenzt hätte hinnehmen müssen. Danach kann offen bleiben, ob eine lediglich verminderte Schuldfähigkeit des Angreifers ein ausreichender Grund zur Annahme einer sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts des Angegriffenen sein kann.“ (Rn. 19)
Auch ein unerträgliches Missverhältnis zwischen Angriff und Verteidigung sei nicht belegt: „Das Notwehrrecht setzt keine Güterproportionalität voraus; eine Abwägung der Bedeutung des angegriffenen Rechtsguts mit dem verteidigten Rechtsgut ist danach im Allgemeinen nicht erforderlich. Nur wenn die Rechtsgutbeeinträchtigung durch die Verteidigungshandlung gegenüber einem unerheblichen Angriff eindeutig unverhältnismäßig ist, kann ein solches Missverhältnis angenommen werden, das zur Einschränkung des Notwehrrechts führt.“ (Rn. 21) „Allein aus der Tatsache, dass der Angekl. keine nachhaltigen Verletzungsfolgen (…) erlitten hat, ergibt sich nicht, dass es sich zur Tatzeit um Bagatellangriffe handelte.“ (Rn. 22)