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BGH, Beschl. v. 01.09.2016 – 2 StR 19/16: Zur Feststellung von bedingtem Tötungs­vorsatz eines nicht unmittelbar an der Ausführung beteiligten Mittäters

Sachverhalt:

Der Angekl. AD benutzte oft den Bürgersteig vor der Doppelgarage des Dr. J zum Abstellen seines Fahrzeugs – zum Ärgernis des Dr. J. Mehrfach kam es deshalb zu verbalen Auseinandersetzungen. Als AD wieder vor der Garage parkte, schrie Dr. J ihn an, er solle sein Auto wegfahren, sonst werde er ihm „eine reinhauen“. AD nahm darauf einen Drehmomentschlüssel aus seinem Fahrzeug und hielt diesen Dr. J drohend entgegen. Als sich AD umdrehte, glaubte Dr. J, der Streit sei beendet. Als er AD aber den Rücken zuwandte, erkannte dieser eine Gelegenheit zum Angriff. Dabei war ihm nicht bekannt, dass Dr. J über Kampfsporterfahrung verfügte. Als sich AD hinter Dr. J befand und zum Schlag ausholte, drehte sich Dr. J um und hob die Arme zur Abwehr des Schlages, der ihn daher nur am Arm traf. Dr. J konnte AD, nach erneuten vergeblichen Versuchen auf ihn einzuschlagen, zu Boden ringen.

AD empfand den Ausgang des Kampfes mit Dr. J als Schmach. Er wollte sich dafür rächen. Im Bekanntenkreis erzählte er, dass er grundlos von einem gefährlichen Kampfsportler verprügelt worden sei und sann auf Rache. Dafür kundschaft­ete er die Gewohnheiten des Dr. J aus. So entstand der Plan, Dr. J auf seinem Weg zum Bäcker zu überfallen, wo er von mehreren Angreifern mit Schlagwerkzeugen überraschend niedergeschlagen werden sollte. AD sollte daran nicht beteiligt sein. Der Angekl. A sollte das Fluchtfahrzeug fahren.

H und SD, sowie weitere Bekannte des AD kamen zum verabredeten Tatort. AD parkte in der Nähe so, dass er den Eingang zum Haus, in dem Dr. J lebte, beobachten konnte. Er stieg in As Auto ein und dirigierte ihn zu einem geeigneten Standort für sein Fluchtfahrzeug. Um 8.27 Uhr verließ der Zeuge T das Wohnhaus, in dem auch Dr. J wohnte. Er wollte in der nahe gelegenen Bäckerei Brötchen kaufen und trug eine Baseballmütze, wie auch Dr. J häufiger. AD verwechselte ihn deshalb mit Dr. J und teilte SD über sein Mobiltelefon mit, dass es jetzt losgehe. Dann entfernte er sich. Die Angreifer kannten Dr. J nicht und meinten, der sich nähernde Radfahrer mit der Baseballmütze sei die richtige Zielperson. T wurde von einem der Angreifer zu Boden gestoßen und sodann mit Schlagwerkzeugen geschlagen (mind. 8 Mal auf den Kopf) und getreten. Als die Täter von T abließen, hielten sie es für möglich, dass er sterben könnte. Rettungs­maßnahmen veranlassten sie nicht, sondern liefen zum Fahrzeug des A, der mit ihnen davonfuhr.

Das LG hat AD wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des T und bzgl. des vorherigen Angriffs auf Dr. J wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Aus den Gründen:

Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung zur Feststellung von bedingtem Tötungs­vorsatz bzgl. der Tat zum Nachteil des T. „Jeder Mittäter ist für ein Handeln anderer Personen im Hinblick auf eine Vorsatztat nur i.R. seines eigenen Vorsatzes verantwortlich (…). Selbst wenn dieser Vorsatz, dem Tatplan entsprechend, auch den Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs umfasst hat, folgt daraus noch nicht ohne weiteres, dass ein Mittäter, der ein solches Werkzeug nicht selbst einsetzt, auch bedingten Vorsatz zur Tötung des Opfers hat. Bei gruppen­dynamisch geprägten Gewalthandlungen können Fälle mit gedankenloser Verletzungs­absicht vorliegen, die ggf. nur mit grober Fahrlässigkeit hinsichtlich einer möglichen Todesverursachung einhergehen. Ob bedingter Tötungs­vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt, ist in solchen Fällen hinsichtlich jedes Tatbeteiligten in einer Gesamtschau aller ihn betreffenden objektiven und subjektiven Tatumstände, in die auch die psychische Verfassung des Tatbeteiligten bei der Tatbegehung sowie seine Motivation einzubeziehen sind, genau zu prüfen.“ (Rn. 19)

An einer nachvollziehbaren Gesamtwürdigung fehle es: „Dies gilt bereits mit Blick darauf, dass die massiven Ein­wirkungen der (…) Täter, welche gefährliche Werkzeuge einsetzten, infolge der Personenverwechslung entgegen der Erwartung der Tatbeteiligten nicht den kampfsporterfahrenen Dr. J, sondern den älteren, unter einer „Agoraphobie mit Panikstörung und psychovegetativen Symptomen sowie einer Erschöpfungs­depression“ leidenden Zeugen T trafen. Die massive Wirkung des Überfalls auf dieses Opfer konnte insoweit von den Angekl., die nicht selbst mit gefährlichen Werkzeugen auf dieses Opfer eingewirkt haben, verkannt worden sein.“ (Rn. 21)

Die Begründung von bedingtem Tötungs­vorsatz des AD (und A) überzeuge nicht: „Der Rückschluss (…) aus einer Vielzahl tatsächlich ausgeführter Ein­wirkungen mit gefährlichen Werkzeugen auf den Geschädigten mit erheblichen Verletzungs­folgen auf einen bedingten Tötungs­vorsatz der Angekl. bei der Vornahme dieser Verletzungs­handlungen durch Dritte deutet einen Rückschaufehler an. Aus dem von Dritten tatsächlich verursachten Erfolg kann jedenfalls nicht unmittelbar auf eine i.S.v. Tötungs­vorsatz noch darüber hinausgehende Vorstellung der Angekl. von der Wirkung der Handlungen bei dem Überfall geschlossen werden. Ihre Einlassung, die Gewalt­anwendung durch Dritte sei in einer von ihnen nicht vorhergesehenen Weise eskaliert, lässt sich so nicht widerlegen.“ (Rn. 24) Das LG habe nicht in die Gesamtschau zur Prüfung des Wollensmoments mit einbezogen, dass AD Dr. J lediglich verprügeln wollte, jedoch kein Motiv hatte, ihn zu töten. Es erschließe sich nicht, „warum die auf den Kopf zielenden Schläge durch AD mit einem Drehmomentschlüssel ohne Tötungs­vorsatz ausgeführt worden sein sollen, während die Verletzungs­handlungen durch fremdnützig handelnde Dritte, um Dr. J eine „Abreibung“ zu erteilen, (…) mit bedingtem Tötungs­vorsatz veranlasst worden sein sollen.“ (Rn. 26)

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