Ist das Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch zu einer – für den Täter erkennbaren – körperlichen Reaktion fähig, ist eine Korrektur des Rücktrittshorizonts in Betracht zu ziehen.
Sachverhalt:
Der Angekl. A gehörte der L-Gruppe an, die sich am Abend des 23.10.2015 mit der verfeindeten B-Gruppe traf. Dort entwickelte sich eine Schlägerei. Der körperlich überlegene A stürzte sich auf La, der versucht hatte zu schlichten. In dem Gerangel verloren beide das Gleichgewicht, wobei La auf A zum Liegen kam. In dieser Situation zog A ein von ihm mitgeführtes, 10 cm langes Springmesser und stach La in die rechte Brustseite, wobei A bewusst war, dass dieser Stich geeignet war, den Tod des La herbei zu führen, was er billigend in Kauf nahm. Durch den Stich wurde La in lebensgefährlicher Weise verletzt, konnte sich jedoch losreißen und wegrennen, bevor er zusammenbrach. Wenige Augenblicke danach wollte E, der aus einigen Metern Entfernung zwar den Sturz des A, nicht aber den Messerangriff beobachtet hatte, den A angreifen. A bemerkte dies und stürmte auf den ihm körperlich unterlegenen und unbewaffneten E zu, packte ihn und stach mit dem Springmesser mit nicht unerheblicher Wucht auf E ein. E wurde dabei schwer verletzt. Schließlich gelang es E aber, sich aus dem Griff des A zu winden und zu flüchten, bevor er zusammenbrach.
Das LG ging bei den zum Nachteil von La und E ausgeführten Messerstichen jeweils von einem versuchten Totschlag aus.
Aus den Gründen:
Die Annahme des LG, der A sei jeweils vom beendeten Versuch eines Tötungsdelikts nicht strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 I 1 Alt. 2 StGB), hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das LG habe die zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze nicht beachtet: Nach st. Rspr. des BGH „kommt ein unbeendeter Versuch auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht. (…) Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch – vom Täter wahrgenommen – zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen.“ (Rn. 9)
Dies hat das LG nicht erörtert, obwohl sich eine Prüfung hier aufgedrängt habe: „Beiden Geschädigten war es nach den letzten vom Angekl. ausgeführten Stichen gelungen, sich noch aus eigener Kraft vom Angekl. loszureißen und wegzurennen, bevor sie letztlich entkräftet zusammenbrachen. Konkrete Feststellungen dazu, welche Distanz die beiden Geschädigten bis zu ihrem Zusammenbruch zurückgelegt hatten und ob der Angekl. dies beobachtet und wahrgenommen hat, werden vom LG nicht getroffen. Die bisherigen Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angekl., sofern er das Verhalten der Geschädigten alsbald nach der letzten Tathandlung beobachtet hat, nicht mehr davon ausging, diese tödlich verletzt zu haben.“ (Rn. 10) Das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs und eines wirksamen Rücktritts konnte damit nicht ausgeschlossen werden.