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BGH, Beschl. v. 8.05.2017 – GSSt 1/17: Zur Zulässigkeit der Wahlfeststellung

Leitsatz: Eine gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist entsprechend den zum Rechts­institut der Wahlfeststellung durch den Bundes­gerichtshof entwickelten Grundsätzen weiterhin zulässig; sie schließt bei gleichzeitiger Verwirklichung eines Tatbestands der Geldwäsche einen Schuldspruch wegen Geldwäsche aus.

Sachverhalt:

Die Angekl. stahlen oder hehlten – dies konnte nicht aufgeklärt werden – seit dem Jahr 2008 in erheblichem Umfang vor allem Fahrzeuge, Fahrzeugteile und Werkzeuge. Das LG hat die Angekl. wegen unter den in § 243 I 1, 2 Nr. 3 StGB bezeichneten Voraussetzungen verübten Diebstahls gemäß § 242 I StGB oder gewerbsmäßiger Hehlerei i.S.v. § 259 I, § 260 I Nr. 1 StGB verurteilt. Der 2. Strafsenat des BGH zweifelte an der Vereinbarkeit der gesetzesalternativen Verurteilung mit Art. 103 II GG. In einem vom 2. Strafsenat gemäß § 132 II GVG durchgeführten Anfrage­verfahren hatten alle angefragten Strafsenate jedoch zum Ausdruck gebracht, an der bisherigen Rspr. des BGH zur gesetzesalternativen Verurteilung festhalten zu wollen. Daraufhin hatte der 2. Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 II, IV GVG die Rechts­frage zur Entscheidung vorgelegt, diese Vorlage allerdings zurückgenommen. Im August 2016 hat der 5. Strafsenat entschieden, dass die gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei bei gleichzeitiger Verwirklichung des Tatbestands der Geldwäsche nach § 261 II Nr. 1 StGB einen Schuldspruch wegen Geldwäsche ausschließe. Daraufhin hat der 2. Strafsenat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 IV GVG abermals dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt.

Aus den Gründen:

„Die ungleichartige Wahlfeststellung ist eine prozess­uale Entscheidungs­regel (…). Als solche ist sie nicht an dem nur für das sachliche Recht geltenden (…) strengen Gesetzlichkeits­prinzip nach Art. 103 II GG, § 1 StGB zu messen, sondern unterliegt lediglich den allgemein für die richterliche Rechts­fortbildung bestehenden Zulässigkeits­voraussetzungen (…).“ (Rn. 14)

„[D]ie ungleichartige Wahlfeststellung [gibt] dem Tatgericht vor, wie es nach Abschluss der Beweisaufnahme bei einer bestimmten Beweislage (nicht behebbare Zweifel über zwei oder mehr, ihrerseits jeweils eine Strafbarkeit des Angekl. ergebende Sachverhaltsvarianten) zu entscheiden hat (…). Sie ist deshalb wie der „Prozess­rechts­grundsatz“ (…) „im Zweifel für den Angeklagten“ dem Verfahrensrecht zuzuordnen (…).“ (Rn. 15) Die dagegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch: Zum einen wirke die Wahlfeststellung nicht strafbarkeits­begründend; in der Verurteilung liege weder eine unzulässige Analogie, noch eine sog. Entgrenzung bzw. „Verschleifung“ von Tatbestandsmerkmalen (Rn. 17 ff.). Auch das Erfordernis einer rechts­ethischen und psychologischen Vergleichbarkeit ändere nichts an der Einstufung als prozess­uale Entscheidungs­regel, dieses diene nur der Einschränkung des Anwendungs­bereichs (Rn. 21).

Die Wahlfeststellung verletzte auch nicht das Schuldprinzip oder die Unschuldsvermutung: „Dem Verbot einer schuldunangemessenen Strafe ist dabei durch die Anwendung des Zweifelssatzes in der Weise Rechnung zu tragen, dass die dem Angekl. günstigste Variante zugrunde zu legen und die mildeste in Betracht kommende Strafe zu verhängen ist. (…) es ist sicher, dass der Angekl. eine der jeweils konkret bestimmten Straftaten begangen hat (…).Die mit der Aufzählung mehrerer Delikte in der Urteilsformel verbundene Belastung für den Verurteilten ist dabei denkbar gering („oder“) und im Blick auf das Erfordernis der rechts­ethischen und psychologischen Vergleichbarkeit rechts­staatlich hinnehmbar (…).“ (Rn. 22)

Die Rechts­figur halte sich im Rahmen zulässiger Rechts­fortbildung: „Ein Freispruch aufgrund mehrfacher Anwendung des Zweifelssatzes nach je unterschiedlicher Blickrichtung wäre in Fällen, in denen ein strafloses Verhalten des Angekl. sicher ausscheidet, schlechthin unvereinbar mit unverzichtbaren Geboten der Gerechtigkeit, die eine am Gleichheitssatz orientierte, dem Rechts­güterschutz verpflichtete Ausgestaltung eines effektiven Straf­verfahrens fordern.“ (Rn. 24)

Die Rspr. könne sich hierbei zudem auf die Billigung des Gesetzgebers stützen (Rn. 25 ff.). Dem stehe nicht die Aufnahme der Eigengeldwäsche in § 261 StGB entgegen. „Damit sollte die als unbefriedigend empfundene vormalige Rechts­lage geändert werden, nach der bei möglicher, jedoch nicht sicher nachweisbarer Begehung der Vortat durch den Alleinvortäter dessen Bestrafung weder wegen der Vortat noch wegen Geldwäsche möglich sei.“ (Rn. 30) Bei Beteiligung an der Katalogvortat ist die Eigengeldwäsche jedoch gem. § 261 IX 3 StGB straffrei. Die hier relevanten Konstellationen sind dadurch geprägt, dass die „Strafbarkeit eines Angekl. wegen seiner Beteiligung an der Katalogtat gerade nicht zweifelhaft ist, sondern sicher feststeht und nur die Art seiner Beteiligung (z.B. an einem Diebstahl oder einer Hehlerei) offenbleiben muss.“ (Rn. 31) „Weder dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien kann dabei entnommen werden, dass [§ 261 IX 3 StGB] keine Anwendung finden soll, wenn sich der Angekl. zwar sicher wegen der Beteiligung an der Vortat strafbar gemacht hat, aber statt auf eindeutiger auf wahldeutiger Grundlage zu verurteilen ist (…). Dies zugrunde gelegt kann eine Verurteilung wegen Geldwäsche (…) nicht erfolgen.“ (Rn. 33)

„Das Gebot der rechts­ethischen und psychologischen Vergleichbarkeit ist entgegen der Auffassung des Generalbundes­anwalts beizubehalten. Der Große Senat für Strafsachen hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass die Wahlfeststellung nur dann zu rechtfertigen und hinzunehmen ist, wenn sie sich auf Straftaten bezieht, die in Bezug auf das sittlich-rechtliche Werturteil über sie und die innere Beziehung des Täters auf sie wesentlich gleichwertig sind; über diese Schranke dürfe nicht hinausgegangen werden (…). Diese Einschätzung ist nach wie vor berechtigt.“ (Rn. 34)

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