Das Vertrauen auf einen rechtsanwaltlichen Rat begründet nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters.
Sachverhalt:
Der Angekl. J betrieb eine Firma, die Mobilfunkverträge der T-GmbH auf Provisionsbasis im Wege von Haustürgeschäften durch von ihm selbst geschulte Außendienstmitarbeiter an Kunden vermittelte. Die beratende, der Verkaufsförderung dienende Tätigkeit der Mitarbeiter war für die Kunden kostenlos. Im Falle eines Vertragsschlusses wurden die Kunden jeweils schriftlich über ihr Widerrufsrecht bzgl. des Mobilfunkvertrages unterrichtet und unterzeichneten entsprechende Hinweise. Als immer mehr Kunden die Verträge widerriefen, kam J auf die Idee die „Leistungen“ nachträglich in Rechnung zu stellen. Er befragte den befreundeten Rechtsanwalt P beim Zusammentreffen auf dem Flur unter Vorzeigen von einzelnen von Kunden bei Vertragsschluss unterzeichneten Informationsblättern, ob rechtliche Bedenken gegen diese Vorgehensweise bestünden. P teilte ihm mit, dass mangels Vergütungsvereinbarung ein Zahlungsanspruch im Zweifel nur dann gerichtlich durchgesetzt werden könne, wenn der zuständige Amtsrichter davon ausgehe, dass die erbrachte Leistung als Beratung nur gegen Vergütung zu erwarten gewesen wäre. Da dies vom Richter abhänge, bestünden keine Bedenken, einen solchen Anspruch in Rechnung zu stellen. Aus wirtschaftlichen Gründen rate er ihm jedoch davon ab, etwaige Ansprüche vor Gericht weiterzuverfolgen. J gab sich mit dieser kostenlos erteilten mündlichen Auskunft zufrieden und nahm eine weitergehende rechtliche Beratung nicht mehr in Anspruch. J stellte sodann den Kunden eine sog. „Beratungspauschale“ i.H.v. 69,95 € schriftlich in Rechnung; er wies auf den Verzugseintritt und seine Kontoverbindung hin. J war bewusst, dass die Beratung der Kunden durch seine Mitarbeiter als reine Verkaufsanbahnung zu verstehen war. Er nahm zumindest billigend in Kauf, dass er eine Zahlung auf einen nicht bestehenden Anspruch forderte und dies durch die Bezugnahme auf den Mobilfunkvertrag täuschend verschleierte. 105 Kunden zahlten, weitere 152 widersprachen der Rechnung oder zahlten kommentarlos nicht. Soweit die Kunden widersprachen oder nicht zahlten, verfolgte dies J nicht weiter. Das LG hat J aufgrund vollendeten Betruges in 105 Fällen und wegen versuchten Betruges in 152 Fällen verurteilt.
Aus den Gründen:
Zur Täuschung führt der BGH aus: „Auch in der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, kann eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Voraussetzung dafür ist, dass die Erklärung über die Äußerung einer Rechtsauffassung hinausgeht, die als Werturteil nicht Gegenstand einer Täuschung sein kann, und zugleich einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen „Tatsachenkern“ enthält (…). Dies ist der Fall, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird.“ (Rn. 18)
„Die Rechnungen gingen über die Äußerung einer bloßen Rechtsauffassung (…) hinaus.“ Bei Betrachtung der Gesamtumstände „kann das einzelne Rechnungsschreiben nicht als isolierte Erklärung gesehen werden, sondern muss in den Zusammenhang mit dem gesamten Geschäftsvorgang gestellt werden. (…) Mit der von ihm verwendeten Formulierung („die Rechnung bezieht sich auf Ihren T. Vertrag, den sie mit unserem Außendienstmitarbeiter geschlossen haben“) nahm [J] auf dieses mehraktige Geschehen und die zum Abschluss des Mobilfunkvertrages führende Haustürsituation Bezug und täuschte dadurch konkludent über die Tatsache, dass sich Außendienstmitarbeiter und Kunde i.R.d. Vertragsabschlusses auch darüber geeinigt haben, die „Beratung“ sei im Falle des Widerrufs des Mobilfunkvertrags vergütungspflichtig. Dabei machte sich [J] gezielt zunutze, dass zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung der Kontakt der Kunden mit den Außendienstmitarbeitern bereits einige Zeit zurücklag, die Frage der Vergütung der Beratungstätigkeit im Gespräch nicht thematisiert worden war und die nach Abschluss des Mobilfunkvertrags zur Unterschrift vorgelegte „Bestätigung“ die „Information“ darüber enthielt, es sei eine Beratung durch Mitarbeiter der Firma T. erfolgt.“ (Rn. 21)
Einen unvermeidbaren Verbotsirrtum verneint der BGH übereinstimmend mit dem LG: „Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. (…). Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf.“ (Rn. 24)
„Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. So können etwa Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine ‚Feigenblattfunktion‘ erfüllen sollen, den Täter nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (…).“ (Rn. 25)
Somit lag „kein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor. Im Hinblick darauf, dass (…) P bei einem zufälligen Zusammentreffen auf die spontane Nachfrage des [J] hin – also regelrecht zwischen „Tür und Angel“ – eine mündliche Auskunft ohne vertiefte Prüfung und als kostenlose Freundschaftsleistung erteilt hatte, durfte [J] nicht auf deren Richtigkeit vertrauen.“ (Rn. 26)
Im Hinblick auf die Fälle des vollendeten Betruges äußert der BGH rechtliche Bedenken, weil offenbleibt, ob die Geschädigten die Beratungspauschale stets wegen eines Irrtums über das Bestehen einer Zahlungspflicht bezahlt haben. „Zwar spricht für einen Irrtum, dass die Forderung eine Höhe hatte, bei der ein durchschnittlicher Rechnungsempfänger Überlegungen zum Hintergrund der Forderung anstellen wird. Andererseits ist aber ebenso denkbar, dass zahlreiche Rechnungsempfänger nur deshalb gezahlt haben, ‚um ihre Ruhe zu haben‘, oder weil sie eingehende Rechnungen stets ohne weitere Überlegung begleichen.“ (Rn. 33)