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BGH, Urt. v. 22.02.2017 – 2 StR 573/15: Zum unvermeidbaren Verbotsirrtum und zur Täuschung iSd § 263 StGB

Das Vertrauen auf einen rechts­anwaltlichen Rat begründet nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters.

Sachverhalt:

Der Angekl. J betrieb eine Firma, die Mobilfunkverträge der T-GmbH auf Provisionsbasis im Wege von Haustürgeschäften durch von ihm selbst geschulte Außen­dienstmitarbeiter an Kunden vermittelte. Die beratende, der Verkaufs­förderung dienende Tätigkeit der Mitarbeiter war für die Kunden kostenlos. Im Falle eines Vertragsschlusses wurden die Kunden jeweils schriftlich über ihr Widerrufsrecht bzgl. des Mobilfunkvertrages unter­richtet und unter­zeichneten entsprechende Hinweise. Als immer mehr Kunden die Verträge widerriefen, kam J auf die Idee die „Leistungen“ nachträglich in Rechnung zu stellen. Er befragte den befreundeten Rechts­anwalt P beim Zusammentreffen auf dem Flur unter Vorzeigen von einzelnen von Kunden bei Vertragsschluss unter­zeichneten Informations­blättern, ob rechtliche Bedenken gegen diese Vorgehensweise bestünden. P teilte ihm mit, dass mangels Vergütungs­vereinbarung ein Zahlungs­anspruch im Zweifel nur dann gerichtlich durchgesetzt werden könne, wenn der zuständige Amtsrichter davon ausgehe, dass die erbrachte Leistung als Beratung nur gegen Vergütung zu erwarten gewesen wäre. Da dies vom Richter abhänge, bestünden keine Bedenken, einen solchen Anspruch in Rechnung zu stellen. Aus wirtschaft­lichen Gründen rate er ihm jedoch davon ab, etwaige Ansprüche vor Gericht weiterzuverfolgen. J gab sich mit dieser kostenlos erteilten mündlichen Auskunft zufrieden und nahm eine weitergehende rechtliche Beratung nicht mehr in Anspruch. J stellte sodann den Kunden eine sog. „Beratungs­pauschale“ i.H.v. 69,95 € schriftlich in Rechnung; er wies auf den Verzugseintritt und seine Kontoverbindung hin. J war bewusst, dass die Beratung der Kunden durch seine Mitarbeiter als reine Verkaufsanbahnung zu verstehen war. Er nahm zumindest billigend in Kauf, dass er eine Zahlung auf einen nicht bestehenden Anspruch forderte und dies durch die Bezugnahme auf den Mobilfunkvertrag täuschend verschleierte. 105 Kunden zahlten, weitere 152 widersprachen der Rechnung oder zahlten kommentarlos nicht. Soweit die Kunden widersprachen oder nicht zahlten, verfolgte dies J nicht weiter. Das LG hat J aufgrund vollendeten Betruges in 105 Fällen und wegen versuchten Betruges in 152 Fällen verurteilt.

Aus den Gründen:

 Zur Täuschung führt der BGH aus: „Auch in der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, kann eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Voraussetzung dafür ist, dass die Erklärung über die Äußerung einer Rechts­auffassung hinausgeht, die als Werturteil nicht Gegenstand einer Täuschung sein kann, und zugleich einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen „Tatsachenkern“ enthält (…). Dies ist der Fall, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird.“ (Rn. 18)

„Die Rechnungen gingen über die Äußerung einer bloßen Rechts­auffassung (…) hinaus.“ Bei Betrachtung der Gesamtumstände „kann das einzelne Rechnungs­schreiben nicht als isolierte Erklärung gesehen werden, sondern muss in den Zusammenhang mit dem gesamten Geschäftsvorgang gestellt werden. (…) Mit der von ihm verwendeten Formulierung („die Rechnung bezieht sich auf Ihren T. Vertrag, den sie mit unserem Außen­dienstmitarbeiter geschlossen haben“) nahm [J] auf dieses mehraktige Geschehen und die zum Abschluss des Mobilfunkvertrages führende Haustürsituation Bezug und täuschte dadurch konkludent über die Tatsache, dass sich Außen­dienstmitarbeiter und Kunde i.R.d. Vertrags­abschlusses auch darüber geeinigt haben, die „Beratung“ sei im Falle des Widerrufs des Mobilfunkvertrags vergütungs­pflichtig. Dabei machte sich [J] gezielt zunutze, dass zum Zeitpunkt der Rechnungs­stellung der Kontakt der Kunden mit den Außen­dienstmitarbeitern bereits einige Zeit zurücklag, die Frage der Vergütung der Beratungs­tätigkeit im Gespräch nicht thematisiert worden war und die nach Abschluss des Mobilfunkvertrags zur Unter­schrift vorgelegte „Bestätigung“ die „Information“ darüber enthielt, es sei eine Beratung durch Mitarbeiter der Firma T. erfolgt.“ (Rn. 21)

Einen unvermeidbaren Verbotsirrtum verneint der BGH übereinstimmend mit dem LG: „Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Er­kenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechts­rats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechts­verneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungs­bewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechts­lage erteilt worden ist. (…). Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf.“ (Rn. 24)

„Das Vertrauen auf eingeholten rechts­anwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechts­gebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechts­anwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. So können etwa Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine ‚Feigenblattfunktion‘ erfüllen sollen, den Täter nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sach­verhalten und erkennbar schwierigen Rechts­fragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (…).“ (Rn. 25)

Somit lag „kein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor. Im Hinblick darauf, dass (…) P bei einem zufälligen Zusammentreffen auf die spontane Nachfrage des [J] hin – also regelrecht zwischen „Tür und Angel“ – eine mündliche Auskunft ohne vertiefte Prüfung und als kostenlose Freundschafts­leistung erteilt hatte, durfte [J] nicht auf deren Richtigkeit vertrauen.“ (Rn. 26)

Im Hinblick auf die Fälle des vollendeten Betruges äußert der BGH rechtliche Bedenken, weil offenbleibt, ob die Geschädigten die Beratungs­pauschale stets wegen eines Irrtums über das Bestehen einer Zahlungs­pflicht bezahlt haben. „Zwar spricht für einen Irrtum, dass die Forderung eine Höhe hatte, bei der ein durchschnittlicher Rechnungs­empfänger Über­legungen zum Hintergrund der Forderung anstellen wird. Andererseits ist aber ebenso denkbar, dass zahlreiche Rechnungs­empfänger nur deshalb gezahlt haben, ‚um ihre Ruhe zu haben‘, oder weil sie eingehende Rechnungen stets ohne weitere Über­legung begleichen.“ (Rn. 33)

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