DE / EN

BGH, Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 397/18: Zur Korrektur des Rücktrittshorizonts und zum bedingten Tötungs­vorsatz

Sachverhalt: Der Angekl. T fühlte sich von A beim Trans­fer seiner Ersparnisse ins Ausland hintergangen. Bei einem zunächst freundschaft­lich verlaufenen Treffen mit A und dessen Ehefrau S in deren Wohnung schlug T dem A mehrmals unvermittelt mit einem von zu Hause mitgebrachten und bis dahin verborgen gehaltenen Hackmesser wuchtig auf den Kopf, bis dieser, bewusstlos und aus seinen Kopfverletzungen stark blutend, zu Boden ging. Die hinzugekommene S schrie um Hilfe, woraufhin T ihr mit dem Hackmesser in der erhobenen Hand auf den Balkon nachsetzte. Von seiner Wut über den vermeintlichen Verrat seines Freundes A und der Erschütterung über seine vorangegangene Tat übermannt, schlug T nunmehr in einem Zustand hochgradiger affektiver Erregung der S ebenfalls mit einer Kante des Hackmessers kraftvoll auf den Kopf und verletzte sie ferner mit Messerhieben am rechten Arm. Dem in der Zwischenzeit wieder zu sich gekommenen A gelang es, die Hand des T mit dem Messer festzuhalten und diesen von S wegzuziehen. A nahm T sodann das Messer aus der Hand und führte ihn aus der Wohnung.

Das LG hat T bzgl. der Tat zum Nachteil der S wegen versuchten Totschlags und bzgl. der Tat zum Nachteil des A wegen versuchten Mordes verurteilt.

Aus den Gründen:

Die Annahme eines beendeten Versuchs hinsichtlich der Tat zum Nachteil des A begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

„Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungs­handlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont…). Je nach den Umständen des Falles ist – in engen zeitlichen Grenzen – eine Korrektur dieses Rücktrittshorizonts möglich. Der Versuch eines Tötungs­delikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Er­kenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungs­handlungen Abstand nimmt. Die Frage, ob nach diesen Rechts­grundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann ausdrücklicher Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungs­handlung noch – vom Täter wahrgenommen – zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Tatopfer sei bereits tödlich verletzt (…).“ (Rn. 8) Das LG hat keine ausreichenden Feststellungen zu den Vorstellungen des T getroffen, als dieser bemerkte, dass A aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte und sich aufrappelte.

„Mit Blick darauf, dass es A nach den Feststellungen letztlich gelang, sich gegen T zur Wehr zu setzen und ihm das Messer zu entwinden, wäre ferner zu erörtern gewesen, ob T nach seiner Vorstellung überhaupt noch Handlungs­möglichkeiten zur Vollendung eines Tötungs­delikts zum Nachteil des A zur Verfügung standen. Anderenfalls hätte auch ein fehlgeschlagener Versuch in Erwägung gezogen werden müssen.“ (Rn. 9)

Hinsichtlich der Tat zum Nachteil der S ist bedingter Tötungs­vorsatz nicht hinreichend dargelegt.

„Nach st. Rspr. des BGH liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen der Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungs­vorsatz grundsätzlich möglich. Jedoch kann insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das (…) voluntative Vorsatzelement gegeben ist.“ (Rn. 11)

„Gemessen daran hat das LG den Messerangriff gegen Arme und Kopf der S zwar rechts­fehlerfrei als objektiv gefährlich gewertet. Es hätte unter den hier gegebenen Umständen aber nicht ohne weiteres auf das voluntative Element des bedingten Tötungs­vorsatzes schließen dürfen. Nach den Feststellungen war T im Zeitpunkt des Angriffs auf S in einen hochgradig affektiven Zustand abgeglitten (…).“ (Rn. 12)

Zum Volltext