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BGH, Beschl. v. 13.09.2018 – 5 StR 421/18: Zur Erforderlichkeit eines Messereinsatzes i.R.d. Notwehr

Sachverhalt: Der Angekl. A und M gerieten an einem U-Bahnhof in Streit, als sie nachts gemeinsam eine Kneipe verlassen hatten. M zog ein Messer mit ausklappbarer, ca. 8,3 cm langer Klinge und beleidigte A, woraufhin sich beide gegenseitig Schläge und Tritte versetzten und schließlich auf dem Boden miteinander rangen. Nachdem es A gelungen war, als erster aufzustehen, schlug er M noch einmal mit der Faust und warnte ihn, ihm zu folgen. A nahm das auf der Erde liegende Messer an sich, damit es M nicht mehr ergreifen konnte, und entfernte sich in Richtung seiner Wohnung. M folgte A, packte ihn und hielt seinen kurz zuvor aus der Hose gezogenen Gürtel dabei drohend in der Hand, weil er sein Messer wiederzuerlangen suchte. Als A weitergehen wollte, beleidigte M ihn und schlug ihn mit der Gürtelschnalle. Er setzte seine Angriffe auch dann noch fort, als A ihn aufgefordert hatte, damit aufzuhören. Um sich zu verteidigen, stach der den Tod Ms billigend in Kauf nehmende A diesem mit dessen Messer dreimal in die Brust. M starb im Krankenhaus infolge Verblutens.

Das LG hat A wegen Totschlags verurteilt. Die Stiche seien mangels Erforderlichkeit nicht durch Notwehr gerechtfertigt.

Aus den Gründen:

Dies hält rechtlicher Über­prüfung nicht stand. „Ob eine Verteidigungs­handlung i.S.d. § 32 II StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene nach gefestigter Rechts­prechung grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Dies schließt auch den Einsatz lebens­gefährlicher Mittel ein.“ Der Angegriffene ist „nicht gehalten, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungs­mittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist.“ (Rn. 8)

„Hieran gemessen durfte A das Messer zu seiner Verteidigung zumindest einmal in der festgestellten Weise einsetzen. Nachdem er die vorherigen Auseinandersetzungen durch sein Weggehen beendet hatte, war insofern die neue ‚Kampfeslage‘ maßgeblich. Diese war insbesondere durch erstmals unter Einsatz eines Schlagwerkzeugs erfolgende Attacken Ms bestimmt, die zudem ungeachtet dessen fortgeführt wurden, dass A bereits unmittelbar zuvor dazu aufgefordert hatte, sie zu beenden.“ (Rn. 9)

„Allerdings ist der Einsatz eines Messers in der Regel zunächst anzudrohen, wenn es sich um einen unbewaffneten Angreifer handelt und das Messer bis dahin noch nicht in Erscheinung getreten ist (…). Beide Voraussetzungen lagen indes nicht vor: M schlug A mit einer Gürtelschnalle und setzte damit ein gefährliches Werkzeug (…) ein. Auch war es gerade sein eigenes Messer, das er von A wiedererlangen wollte.“ (Rn. 10) Es ist aufgrund des ausgesprochen aggressiven Verhaltens des M nicht feststellbar, dass auch ein Stich in eine weniger gefährliche Körperregion weitere Angriffe tatsächlich und sicher unterbunden hätte.

Falls nicht alle drei Stiche als erforderlich anzusehen sein sollten, muss erörtert werden, „ob durch den dann nicht gerechtfertigten Einsatz des Messers der durch Verbluten verursachte Tod Ms beschleunigt worden ist. Denn auch eine Lebens­verkürzung um wenige Minuten stellt eine vollendete Tötung dar.“ (Rn. 15)

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