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BGH, Urt. v. 1.3.2018 – 4 StR 311/17: Zum bedingten Tötungs­vorsatz bei Eigengefährdung und zur Straßenverkehrs­gefährdung

Sachverhalt:

Der Angeklagte A unternahm eine Motorradfahrt. Er befuhr die stadtauswärtsführende Nordstraße, auf der die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h beträgt. Er beschleunigte sein Motorrad bis auf maximal 150 km/h. Vor einer Kreuzung, bei der wegen einer Baustelle eine der Geradeausspuren gesperrt war, ließ er sein Motorrad ausrollen. Die für ihn geltende Lichtzeichenanlage zeigte zunächst grünes Ampelsignal an, sprang aber während seiner weiteren Zufahrt auf Gelblicht um; bei störungs­freier Weiterfahrt hätte er die Ampel noch bei Gelblicht passiert. Zu dieser Zeit betrat der 75-jährige Geschädigte G die Fahrbahn der Nordstraße, um diese über eine Fußgängerfurt zu queren. Hierbei missachtete er das angezeigte Rotlicht der Fußgängerampel. A, der noch mit einer Geschwindigkeit von mindestens 97 km/h fuhr, nahm den sich bereits auf der Fahrbahn befindlichen G wahr. Er leitete sofort eine Vollbremsung ein, sah aber keine Möglichkeit mehr für ein Ausweichmanöver und erfasste G mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 63 km/h. Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit wäre es A durch einen normalen Bremsvorgang möglich gewesen, sein Motorrad vor G zum Stehen zu bringen. G erlag noch im Rettungs­wagen seinen durch den Unfall erlittenen Verletzungen. A, der mit seinem Motorrad zu Fall kam, wurde ebenfalls erheblich verletzt.

Der Annahme des LG, der Angeklagte habe nicht mit bedingtem Tötungs­vorsatz gehandelt, stimmt der BGH zu.

„In rechtlicher Hinsicht ist nach ständiger Rechts­prechung bedingter Tötungs­vorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. […] So kann bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraute.“

A habe trotz der von ihm erkannten Gefahr, durch seine Fahrweise andere Verkehrs­teilnehmer zu gefährden, darauf vertraut, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde. Dafür spreche, dass A bei Wahrnehmung des Fußgängers sofort eine Vollbremsung einleitete. Zudem lag eine erhebliche Eigengefährdung des A im Falle eines Unfallgeschehens vor, da gerade für ihn als Motorradfahrer ein Unfall mit der Gefahr eigener schwerer Verletzungen verbunden war.

Auch die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrs­gefährdung in der Form einer Vorsatz-Fahrlässigkeits­kombination nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 d), Abs. 3 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Prüfung stand.

„Die Straf­vorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB dient anerkanntermaßen auch dem Schutz von Fußgängern, die an Kreuzungen oder Einmündungen die Fahrbahn überqueren, deren Normzweck darin besteht, den Wechsel der Straßenseite durch Fußgänger auf einen engen Raum, auf dem der Fahrverkehr mit Passanten rechnen muss, zu konzentrieren. […] Der Risikozusammenhang entfällt auch nicht dadurch, dass der Geschädigte die Fußgängerfurt – entgegen § 37 StVO – bei rotem Ampelsignal betrat. Denn an innerstädtischen Kreuzungen und Einmündungen sind, zumal am späten Abend, Rotlichtverstöße an Fußgängerüberwegen nicht unüblich und gehören damit zum typischen Risiko eines solchen Verkehrs­bereichs. Auch um auf ein solches Fehl­verhalten anderer Verkehrs­teilnehmer angemessen reagieren zu können, verbietet sich an diesen Stellen ein zu schnelles Fahren.“

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