Sachverhalt:
A und B, die sich gelegentlich zusammen betranken, trafen sich am Mittag des Tattags zufällig und beschlossen, bei A Alkohol zu konsumieren. Am Abend gingen sie zur Wohnung des Bruders von B. Im Hausflur kamen zwei Personen die Treppe hinunter, die sich mit B auf Deutsch unterhielten, was A nicht verstand. Verunsichert begab sich A in den Hinterhof, wohin ihm B folgte. Die beiden anderen Personen verstellten die Türe zum Hof. B verlangte die ihm gehörenden Gegenstände von A heraus, die A wohl besaß, jedoch nicht bei sich trug. Da A befürchtete, dass die Lage eskalieren könnte, zog er ein Schweizer Messer mit fingerlanger Klinge heraus und klappte es auf. Dann ging er damit auf B zu, schwang es in Kopfhöhe herum und versetzte B damit vier Schnitte. Durch ein sich plötzlich öffnendes Garagentor konnte A auf die Straße fliehen.
Das LG schloss eine Rechtfertigung des A durch Notwehr aus, da kein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vorgelegen habe: A hätte einen eventuellen Angriff abwarten und sich mit dem Messer dann gegen alle drei Gegner verteidigen können. (Rn. 6 f.)
Nach Ansicht des BGH begegnen diese Erwägungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. (Rn. 8)
Aus den Gründen:
Maßgeblich für § 32 Abs. 2 StGB ist eine objektive Sachlage. „Entscheidend sind nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung […].“ Das Gericht muss also Überlegungen darüber anstellen, welche tatsächlichen Absichten das spätere Tatopfer im Tatzeitpunkt hatte. (Rn. 9)
Zudem wäre ein Abwarten des A nicht erforderlich gewesen, da ein bereits gegenwärtiger Angriff schon vorlag. Eine Verteidigungsmaßnahme ist nicht erst bei einer Verletzungshandlung gerechtfertigt, sondern bereits bei einem Verhalten, das unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen kann. Für die Gegenwärtigkeit ist also nicht die Vornahme der Verletzungshandlung, sondern der Zeitpunkt der bedrohlichen Lage entscheidend. Hier ließ die eingeschlossene Situation im Hinterhof vermuten, dass der Angriff kurz bevorstand. Zudem musste A an drei Gegnern vorbei, wodurch ein Abwarten die Verteidigungsmöglichkeit weiter verschlechtert hätte. Dies sei auch daran zu sehen, dass A selbst durch die Messerstiche nicht entkommen konnte; erst das sich unerwartet öffnende Garagentor hat ihm zur Flucht verholfen. (Rn. 10)