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BGH, Urt. v. 25.09.19 – 2 StR 177/19: Zum unmittelbar bevorstehenden Angriff bei § 32 Abs. 2 StGB

Sachverhalt:

A und B, die sich gelegentlich zusammen betranken, trafen sich am Mittag des Tattags zufällig und beschlossen, bei A Alkohol zu konsumieren. Am Abend gingen sie zur Wohnung des Bruders von B. Im Hausflur kamen zwei Personen die Treppe hin­unter, die sich mit B auf Deutsch unter­hielten, was A nicht verstand. Verunsichert begab sich A in den Hinterhof, wohin ihm B folgte. Die beiden anderen Personen verstellten die Türe zum Hof. B verlangte die ihm gehörenden Gegenstände von A heraus, die A wohl besaß, jedoch nicht bei sich trug. Da A befürchtete, dass die Lage eskalieren könnte, zog er ein Schweizer Messer mit fingerlanger Klinge heraus und klappte es auf. Dann ging er damit auf B zu, schwang es in Kopfhöhe herum und versetzte B damit vier Schnitte. Durch ein sich plötzlich öffnendes Garagentor konnte A auf die Straße fliehen.

Das LG schloss eine Rechtfertigung des A durch Notwehr aus, da kein gegenwärtiger, rechts­widriger Angriff vorgelegen habe: A hätte einen eventuellen Angriff abwarten und sich mit dem Messer dann gegen alle drei Gegner verteidigen können. (Rn. 6 f.)

Nach Ansicht des BGH begegnen diese Erwägungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. (Rn. 8)

Aus den Gründen:

Maßgeblich für § 32 Abs. 2 StGB ist eine objektive Sachlage. „Entscheidend sind nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechts­gutsverletzung […].“ Das Gericht muss also Über­legungen darüber anstellen, welche tatsächlichen Absichten das spätere Tatopfer im Tatzeitpunkt hatte. (Rn. 9)

Zudem wäre ein Abwarten des A nicht erforderlich gewesen, da ein bereits gegenwärtiger Angriff schon vorlag. Eine Verteidigungs­maßnahme ist nicht erst bei einer Verletzungs­handlung gerechtfertigt, sondern bereits bei einem Verhalten, das unmittelbar in eine Rechts­gutverletzung umschlagen kann. Für die Gegenwärtigkeit ist also nicht die Vornahme der Verletzungs­handlung, sondern der Zeitpunkt der bedrohlichen Lage entscheidend. Hier ließ die eingeschlossene Situation im Hinterhof vermuten, dass der Angriff kurz bevorstand. Zudem musste A an drei Gegnern vorbei, wodurch ein Abwarten die Verteidigungs­möglichkeit weiter verschlechtert hätte. Dies sei auch daran zu sehen, dass A selbst durch die Messerstiche nicht entkommen konnte; erst das sich unerwartet öffnende Garagentor hat ihm zur Flucht verholfen. (Rn. 10)

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