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BGH, Urt. v. 16.01.2019 – 2 StR 312/18: Zur Korrektur des Rücktrittshorizont beim versuchten Totschlag

Sachverhalt: Die G und ihr Ehemann E wollten den mit dem Angekl. A bestehenden Mietvertrag wegen Mietrückständen kündigen. Da mehrere Kontaktversuche gescheitert waren, tauschten sie das Türschloss zur Wohnung aus. Als A dies bemerkte und die Tür eintrat, kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung mit G und E, in deren Verlauf A ein Fleischmesser (Klingenlänge: 23 cm) nahm. G hatte dies beobachtet und wählte, während sie von der Wohnung weglief, die Notrufnummer. Währenddessen kam es zu einem Gerangel zwischen A und E. Als E aus dem Haus rannte, folgte ihm A mit dem Messer in der Hand. Er bemerkte die nur wenige Meter entfernt stehende G, lief auf sie zu und stach ihr im Vorbeilaufen mit dem Messer in den Bauch, woraufhin G laut schrie. Gegen E führte A zwei Stiche mit Tötungs­vorsatz. Danach lief A mit dem Messer in der Hand an G, die das Geschehen beobachtet hatte, vorbei und verließ das Grundstück. E verstarb, G konnte durch eine Notoperation gerettet werden. Das LG hat die Tat zum Nachteil der G als gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) gewertet und bzgl. des Tötungs­delikts einen strafbefreienden Rücktritt angenommen.

Aus den Gründen:
Die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts sei rechtlich nicht zu beanstanden. Hier habe das LG zu Recht einen unbeendeten Versuch angenommen, denn ein solcher liegt auch dann vor, „wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungs­möglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht. Dies kommt dann in Betracht, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungs­handlung noch – vom Täter wahrgenommen – zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt (…).“ (Rn. 8)

Unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen war der Versuch zunächst nicht fehlgeschlagen: „Dem durchgehend mit dem Küchenmesser bewaffneten [A] war es jederzeit möglich, mit diesem einen Tötungs­erfolg herbeizuführen, sei es, dass er sich unmittelbar nach den ersten Schreien der [G] dieser nochmal zuwandte, sei es, dass er wenig später weitere Messerstiche gegen die ihm hinter das Haus gefolgte [G] führte.“ (Rn. 10)

Auch die Annahme eines unbeendeten Versuchs ist nicht zu beanstanden: Denn die G war „nach dem wenige Meter vom Hauseingang entfernt geführten Messerangriff dem [E] nacheilenden [A] hinter das Haus gefolgt. Spätestens dort nahm [A] die [G] wahr, die ihn 35 Sekunden nach dem Messerangriff (…) anschrie, er solle weggehen, und keine Anzeichen einer tödlichen Verletzung zeigte. Jedenfalls das Geschehen hinter dem Haus, welches in ausreichend engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem gegen die [G] geführten Messerstich steht, lässt nachvollziehbar Zweifel an der tödlichen Wirkung der zuvor zugefügten Verletzung aufkommen. Dass [A] eine weitere Tatausführung unschwer möglich gewesen wäre, ist durch die Feststellungen ebenso hinreichend belegt wie der Umstand, dass [A] hiervon freiwillig Abstand genommen hat. Er ist in geringem Abstand an [G] vorbeigegangen und hat sodann das Grundstück verlassen. Kenntnis von den bereits in der Nähe befindlichen Polizeibeamten hatte er erst im weiteren Verlauf erlangt.“ (Rn. 11)

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