DE / EN

BGH, Beschl. v. 14.1.2020 – 2 StR 284/19: Zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom versuchten Mord

Sachverhalt:

Der Angekl. A und seine Ex-Freundin Z, derer er sich gewaltsam bemächtigt hatte, um sie zurückzugewinnen, entdeckten nachts den in einem Gebüsch schlafenden P. A , der in seiner Hand ein Messer hielt, kam die Idee, P dessen Geld zu entwenden. Er nahm P‘s Portemonnaie und durchsuchte dann dessen Rucksack. Als er den Rucksack wieder auf den Boden legte, erwachte P. Um sich den Besitz der Geldbörse zu sichern und die befürchtete Gegenwehr des P im Keim zu ersticken, stach A unvermittelt viermal kraftvoll auf P ein, wobei er dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Der völlig überraschte P sprang nach dem vierten Stich plötzlich auf und lief in Richtung einer nahegelegenen Böschung. A versetzte P noch einen weiteren Stich in die linke Schulter, bevor es P gelang, die Böschung zur Straße hochzulaufen. In dieser Situation ließ A von P ab, weil er nicht gleichzeitig diesen weiterverfolgen und Z, der sein Interesse in erster Linie galt, überwachen konnte. Er entschloss sich daher, mit Z seinen Weg fortzusetzen und P nicht weiter zu verfolgen. Der lebens­gefährlich verletzte P wurde kurz darauf gefunden und gerettet.

Das LG hat A u.a. wegen versuchten Mordes verurteilt.

Aus den Gründen:

Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 I 1 Var. 1 StGB habe das LG nicht rechts­fehlerfrei ausgeschlossen. Ein Fehlschlag lag nicht vor und A gab freiwillig die weitere Tatausführung auf.

Zum Fehlschlag: „Entgegen der Ansicht des LG kann der Tatplan des A für die Annahme eines Fehlschlags nur insoweit eine Rolle spielen, als der Täter nach dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen die Notwendigkeit erkennt, Tathandlung und -ablauf grundlegend zu ändern oder ein ganz anderes als das bisher verwendete Tatmittel einzusetzen (…). A hatte jedoch nach seiner Vorstellung die Möglichkeit, P nachzusetzen, um diesem weitere Messerstiche zuzufügen.“ (Rn. 13)

Zur Aufgabe der weiteren Tatausführung: „Einem Rücktritt steht nicht entgegen, dass A nicht die Durchführung seines gesamten strafrechtlich relevanten Vorhabens aufgab, sondern nur darauf verzichtete, P weiter zu verfolgen, und stattdessen seine Tat zum Nachteil der Z fortsetzte. Zwar kann grundsätzlich nur derjenige strafbefreiend zurücktreten, der die Durchführung des kriminellen Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgibt. Diese Erwägung betrifft aber stets nur den Entschluss, von der Vollendung eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens i.S.e. gesetzlich umschriebenen Straftatbestandes abzusehen.“ (Rn. 10)

Zur Freiwilligkeit: „Freiwilligkeit (…) liegt vor, wenn der Täter ‚Herr seiner Entschlüsse‘ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangs­lage daran gehindert, noch durch seelischen Druck un­fähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (…). Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen.“ (Rn. 8)

„Dass A die Weiterverfolgung des P nicht möglich war, ohne Z (…) aus den Augen zu lassen, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen. Denn die Freiwilligkeit des Rücktritts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf sein Opfer absieht, sondern nur deshalb, weil er sein weiteres Opfer, nicht entkommen lassen will (…). Die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung (…).“ (Rn. 9) „Auch dass A mit der Flucht des P sein weitergehendes, mit Blick auf den Tötungs­versuch außertatbestandliches Ziel der Beutesicherung erreicht hatte, rechtfertigt (…) weder die Annahme eines Fehlschlags noch der Unfreiwilligkeit.“ (Rn. 11)

Der Freiwilligkeit steht schließlich nicht entgegen, „dass A die Gefahr drohte, bei der Verfolgung des P entdeckt zu werden (…). Allein die Erhöhung des Entdeckungs­risikos steht der Annahme der Freiwilligkeit (…) nicht von vornherein entgegen, da der Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungs­bereiten Dritten noch ungehindert weitere Ausführungs­handlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss.“ (Rn. 12)

Zum Volltext