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BGH, Urteil v. 10.09.2020 – 4 StR 14/20: Zur sukzessiven Mittäterschaft bei Qualifikations­tatbeständen

Sachverhalt:

Der Angeklagte A begab sich gemeinsam mit dem M zum Haus des G, um dort einen Einbruch zu begehen. Sie gelangten ins Haus, indem A die angekippte Terassentür entriegelte. Ein „näherer“ gemeinsamer Tatplan bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Besprochen war nur, dass der G während der Tatbegehung von einem der Täter bewacht werden sollte. Als A und M auf den G treffen bringt A diesen durch einen Schlag in den Rücken zu Fall. M übernimmt im Anschluss die Bewachung während A das Haus nach Wertgegenständen durchsucht. A findet 2.800 Euro sowie eine Uhr. Als er zu M und G zurückkehrt sieht er, dass M den G zwischenzeitlich mit einer Kordel gefesselt hat. Eine Drohung „Wo Geld? …sonst Du tot“, die der M möglicherweise abgegeben hat, hört der A nicht. Nachdem A dem M von seiner Beute berichtet verlassen die beiden das Haus. Den G lassen sie gefesselt zurück.

Fraglich ist, ob A sich eines schweren Raubes nach § 250 I Nr. 1b StGB strafbar gemacht hat.  Entscheidend hierfür ist, ob im vorliegenden Fall eine sukzessive Mittäterschaft gegeben war.

 

Sukzessive Mittäterschaft

Sukzessive Mittäterschaft, die sich auf die Verwirklichung von qualifizierenden Merkmalen beziehen kann, liegt vor, wenn in Kenntnis und mit Billigung des bisher Geschehenen – auch wenn dies von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht – in eine bereits begonnene Ausführungs­handlung als Mittäter eingetreten wird. Das Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass diese strafrechtlich zugerechnet wird. Nur für das, was vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zu begründen, selbst wenn die hinzutretende Person dessen Folgen kennt, billigt und ausnutzt.

Ein die Mittäterschaft begründender Eintritt kann vor der Vollendung der Tat erfolgen, etwa indem eine auf die Vollendung der geplanten Tat abzielende Handlung in Kenntnis des bisher Geschehenen vorgenommen oder fortgesetzt wird. Sie ist aber auch noch nach der strafrechtlichen Tatvollendung möglich, solange der zunächst allein Handelnde die Tat noch nicht beendet hat. Deshalb kann die Zurechnung einer vom ursprünglichen Tatplan nicht umfassten Erfüllung eines Qualifikations­merkmals auch dann noch erfolgen, wenn der qualifizierende Umstand nach der Tatvollendung noch vorliegt und von dem Hinzutretenden in dessen Kenntnis und unter Ausnutzung des Erschwerungs­grundes noch auf die Sicherung des Taterfolges gerichtete Handlungen vorgenommen werden. [Rz. 7]

 

Subsumtion

Im vorliegenden Fall hat M durch den Einsatz des Fesselungs­werkzeuges den Tatbestand des schweren Raubes nach § 250 I Nr. 1b StGB verwirklicht. Als A Kenntnis hiervon erlangte, dauerte die Fesselung des G durch den M noch fort, sodass eine sukzessive Mittäterschaft des A noch verwirklicht werden konnte. Erforderlich ist hierfür, dass der A sich nachträglich konkludent mit dem Einsatz des Fesselungs­werkzeuges einverstanden erklärt hat, als er mit M gemeinsam das Haus verlassen hat. Dies hat das Landgericht hier verkannt, indem es schlicht darauf abstellte, dass ein gemeinschaft­lich begangener schwerer Raub im vorliegenden Fall nicht gegeben sein, da A vor der Anwendung der Kordel keine Kenntnis von dem Fesselungs­werkzeug gehabt habe und dessen Einsatz auch nicht gebilligt habe. [Rz. 5, 8]

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