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OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020 – 3 RVs47/20: Zur Garantenpflicht eines Hauseigentümers

Sachverhalt:

A ist im Vorstand des Vereins C e.V. Der C e.V. ist Eigentümer einer Immobilie, auf deren Rollladen im Jahr 1994 von einer unbekannten Person ein großes Bild angebracht wurde, das neben dem Portrait des verstorbenen E, die Flagge der Nationalen Befreiungs­front Kurdistans (ERNK) zeigt, eine verbotene Teil­organisation der PKK. Bis zum Jahre 2017 wurde die Abbildung, die allgemein vom öffentlichen Straßenraum erkennbar ist, von den Behörden nicht moniert. Auch haben seit der Fertigung der Abbildung im Jahr 1994 keine Veranstaltungen oder sonstige Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Tod des E stattgefunden.

2017 wurde das Ordnungs­amt auf die Abbildung der Flagge der ERNK auf dem Rollladen aufmerksam. A wurde von der Polizei aufgefordert, das Symbol zu entfernen. Dies geschah jedoch nicht. Der C e.V. ist auch in Zukunft nicht bereit, die Abbildung zu entfernen.

Leitsätze des Gerichts

1. Den Gebäudeeigentümer trifft grundsätzlich keine Garantenpflicht im Sinne von § 13 StGB, Kennzeichen verbotener Vereine an seinem Haus zu beseitigen, die ein anderer ohne sein Wissen dort angebracht hat.

2. Eine Garantenpflicht in diesem Sinne entsteht auch nicht dadurch, dass die öffentlich geäußerte politische Ausrichtung des Gebäudeeigentümers darauf schließen lässt, dass er mit dem verbotenen Verein oder dessen Zielen sympathisiert.

Garantenpflicht des Vorstandes

Da der A die Abbildung nicht selbst angefertigt hat, hat die Kammer zu entscheiden, ob der A sich durch das bloße Unter­lassen des Entfernens der Abbildung nach Aufforderung durch das Ordnungs­amt im Januar 2018 strafbar gemacht hat. Es ist fraglich, ob den A als Vorstands­mitglied des Vereins eine Garantenpflicht gemäß § 13 StGB zur Entfernung der Abbildung trifft.

Nach § 13 Abs. 1 StGB ist derjenige, der es unter­lässt, den zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörenden Erfolg abzuwenden, nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt; ferner muss das Unter­lassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen

Schon ein Einstehenmüssen kann hier nicht angenommen werden. Eine solche Schutz­funktion des Garanten kann sich aus gesetzlicher Verpflichtung, tatsächlicher Über­nahme oder aus einem gefahrschaffenden vorhergehenden Tun (Ingerenz) ergeben. Die bloße tatsächliche Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, oder eine sittliche Verpflichtung, dies zu tun, sind niemals als ausreichender Grund für die Annahme einer Garantenpflicht anzusehen.

Damit ist ein Gebäudeeigentümer grundsätzlich nicht verpflichtet, Gefahren entgegenzuwirken, die etwa erst durch Missbrauch des Gebäudes durch Dritte hervorgerufen werden, so dass er beispielsweise nicht verpflichtet ist, beleidigende Parolen an seinem Haus zu beseitigen, die ein anderer dort angebracht hat.

Subsumtion

Somit trifft den A ohne jeglichen Zweifel keine Garantenpflicht dahin, die Abbildung zu entfernen. Es sind hier auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass von der Immobilie des C e.V. eine Gefahrenquelle ausgeht. Insbesondere die politische Ausrichtung des C e.V. oder des A stellt keine Eigenschaft der Immobilie in diesem Sinne dar.

Der A als einer der Vereinsvorstände des C e.V. hat somit keine strafrechtlich bewehrte Garantenpflicht zur Beseitigung der betreffenden Abbildung. Eine Garantenpflicht zur Beseitigung jeder möglichen von einer Immobilie ausgehenden Beeinträchtigung, die von Dritten verursacht worden sind, besteht nicht. Angesichts der überragenden Bedeutung der Meinungs- und Kunstfreiheit, des konkreten politischen Kontextes der Entstehung der Abbildung und der fehlenden Aus­wirkungen der Abbildung kann die Kammer keine Strafbarkeit des Angeklagten erkennen.

Zurückverweisung an das Landgericht

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

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