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BGH, Urt. v. 03.09.2015 – 3 StR 242/15: Zur Heimtücke beim Mord, § 211 StGB

Sachverhalt:

H war mit S, der Schwester der Angekl. A und M verheiratet, in deren Ehe es zu erheblichen Streitigkeiten mit gewaltsamen Übergriffen des H auf S kam. Zweimal wurde H deshalb verurteilt. Nach der Scheidung im Jahr 2004, versuchte H im Jahr 2008 den älteren Bruder B der Angekl. zu töten, der mit schweren Verletzungen überlebte. H verbüßte dafür eine mehrjährige Freiheitsstrafe, während deren Vollstreckung er in der Haft einen Verwandten der Angekl. angriff. In der Folge wurde H von der gesamten Familie der Angekl. als Bedrohung empfunden.
Am Tattag bemerkten A und M den H, der auf dem Weg zu einem Super­markt war und beschlossen, H zu beseitigen. Sie folgten H zum Geschäft, wo A ihn zunächst durch die Scheiben der Glasfront beobachtete. Dann postierten sich A und M an der äußeren Schiebetür des Marktes, so dass H nicht passieren konnte. Als dieser dem Ausgang zustrebte, kam es im Bereich der Außen­tür zu einem kurzen und heftigen Wortwechsel zwischen H und den Angeklagten. Sie griffen H an und drängten ihn in Richtung des Kassen­bereichs zurück. Bereits im Bereich der inneren Schiebetür, die unmittelbar in die Räumlichkeiten des Super­markts führt, versetzten sie H einen oder mehrere Messerstiche. H versuchte, die Angekl. von weiteren Angriffen abzuhalten, was ihm kurzzeitig auch mit Hilfe eines Einkaufswagens gelang, den ihm ein anderer Kunde zugeschoben hatte und den er zwischen sich und die Angekl. zu bringen versuchte. Da A und M weiter auf ihn eindrangen, floh er zurück in den Kassen­bereich. Dort stolperte er über eine Absperrung und kam zu Fall. Jetzt erreichten ihn die Angekl. und stachen auf seinen Oberkörper ein, bis H sich nicht mehr regte. H, der insgesamt 44 Stiche erhalten hatte, verstarb alsbald.
Das LG hat A und M wegen Totschlags verurteilt.

Aus den Gründen:


Laut BGH hält die Begründung, mit der das LG eine heimtückische Begehungs­weise und damit einen Mord i.S.v. § 211 StGB abgelehnt hat, rechtlicher Über­prüfung nicht stand.

Der BGH führt allgemein zur Heimtücke aus: „Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (…). Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Nach ständiger Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (…).“ (Rn. 10)

Das LG durfte zur Ablehnung der Heimtücke „nicht allein darauf abstellen, dass die Angekl. dem später Getöteten offen und feindselig gegenübergetreten sind. Vielmehr hätte es prüfen müssen, ob der später Getötete, als er auf die Angekl. zuging und danach mit ihnen zusammentraf, die Gefahr so rechtzeitig erkannte, dass er noch Zeit gehabt hätte, sie abzuwehren oder sich ihrer zu entziehen.“ (Rn. 11)

Das LG hat die Heimtücke auch verneint, weil die Angekl. die Überraschung des H nicht ausgenutzt hätten. „Um ein Ausnutzungs­bewusstsein zu verneinen, hätte es jedoch der weiteren Feststellung bedurft, dass sie eine mögliche hilflose Lage ihres Opfers nicht erkannten.“ (Rn. 11)

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