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BGH, Urt. v. 11.11.2015 -5 StR 259/15: Zum Mordmerkmal der Heimtücke, § 211 StGB

Sachverhalt:

W, Mieter einer Wohnung im Haus des Angekl. A, lag seit Längerem mit A im Streit. Der Grund lag hauptsächlich in der Persönlichkeit des A, die durch zwanghafte, von hoher Kränkbarkeit geprägte impulsiv-aggressive Züge bestimmt ist. Bei Begegnungen mit W geriet A oftmals in hochgradige Wut und beschimpfte ihn. Darüber hinaus entwickelte er ein wahnhaftes Ideengebäude, das sich in einer paranoid gesteigerten Überzeichnung alltäglicher Situationen auswirkte. Er glaubte sich von W verfolgt und sah ihn als Kopf einer konspirativen Bande an, die ihm nach dem Haus und weiteren Vermögenswerten trachte.
2012 kam es zu einem Zwischenfall, bei dem A den W mit einer Axt bewaffnet wegen eingebildeter negativer Äußerungen zur Rede stellte und ihn schließlich mit der Faust bewusstlos schlug.
Am 12.02.2014 begab sich W ins Treppenhaus, um die Tageszeitung zu holen. Wie stets, wenn er sich dort befand, trug er eine Dose Pfefferspray und ein für einen sofortigen Notruf vorbereitetes Mobiltelefon bei sich. A hörte W und wollte ihn wegen eines anwaltlichen Schreibens zur Rede stellen. Er betrat das Treppenhaus, sprach ihn in barschem Ton an und deutete W’s Reaktion als herabsetzend. Zornentbrannt versetzte er ihm einen kräftigen Faustschlag ins Gesicht, wobei W zu Boden ging und liegen blieb. In wahnbedingter Verkennung der Situation meinte A, dass W ihn grinsend verhöhne. Dies ließ ihn derart in Wut geraten, dass er sich spontan entschloss, „dieses ihn vermeintlich angrinsende Gesicht (…) endgültig zu vernichten und den Menschen auszulöschen“. Er holte einen Hammer und schlug damit mehrfach auf das Gesicht und den Kopf Ws ein, um ihn zu töten. Hierdurch verursachte er schwerste, möglicherweise schon tödliche Verletzungen. Anschließend stach er mit einem Messer mehrfach und mit großer Wucht in den Hals- und Brust­bereich.
Das LG hat A wegen Totschlags verurteilt.

Aus den Gründen:

Das LG ist davon ausgegangen, dass A im Zustand verminderter Steuerungs­fähigkeit nach § 21 StGB gehandelt hat. Das Mordmerkmal der Heimtücke war nach Auffassung des LG mangels Arglosigkeit des Opfers nicht verwirklicht: „Wie die Mitnahme des Pfeffersprays und des Mobiltelefons zeige, habe Herr W ständig mit erheblichen Angriffen des Angekl. auf seine körperliche Integrität gerechnet.“ (Rn. 7)

Nach dem BGH ist die Erörterung der Schuld­fähigkeit rechtfehlerhaft. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

Für die neue Hauptverhandlung weist er darauf hin, dass das LG seiner Prüfung des Mordmerkmals der Heimtücke unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt hat: „Nach ständiger Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen; es kommt vielmehr darauf an, ob das Opfer gerade im Tatzeitpunkt mit Angriffen auf sein Leben gerechnet hat (…). Ferner kann bei einem zunächst in Körperverletzungs­absicht geführten Angriff Arglosigkeit bejaht werden, wenn der ursprüngliche Verletzungs­wille des Täters so schnell in einen Tötungs­vorsatz umschlägt, dass der Überraschungs­effekt bei Beginn der eigentlichen Tötungs­handlung noch andauert (…).“ (Rn. 13)

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