Leitsatz:
Den Vertragsarzt einer Krankenkasse trifft dieser gegenüber eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinn des § 266 Abs. 1 StGB, die ihm zumindest gebietet, Heilmittel nicht ohne jegliche medizinische Indikation in der Kenntnis zu verordnen, dass die verordneten Leistungen nicht erbracht, aber gegenüber den Krankenkassen abgerechnet werden sollen.
Sachverhalt:
Der Angekl., der als sog. „Kassenarzt“ zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Arzt A, arbeitete als Kooperationsarzt der „V Gesundheitszentren“. In den Jahren 2005–2008 erstellte A in insgesamt 479 Fällen Heilmittelverordnungen für physiotherapeutische Leistungen. Diese Heilmittelverordnungen erstellte A für „Patienten“ ohne Untersuchung; eine medizinische Indikation bestand nicht. Vielmehr wurden A von den Eheleuten T, aufgrund eines gemeinsamen Tatplans Krankenversicherungskarten von Angestellten der „V Gesundheitszentren“ und u.a. den Spielern eines Fußballvereins überlassen, die von A als Mannschaftsarzt sowie von den Eheleuten T (unentgeltlich) physiotherapeutisch betreut wurden. Die Heilmittelverordnungen leitete A sodann den Eheleuten T zu. Diese ließen sich die Erbringung der von A verordneten Leistungen von den „Patienten“ bestätigen, obwohl sie – was A wusste und billigte – in keinem der Fälle erbracht worden waren. Anschließend wurden sie – entsprechend dem gemeinsamen Tatplan – von den Eheleuten T bei verschiedenen Krankenkassen eingereicht und von diesen in der Annahme, die verordneten Leistungen seien erbracht worden, in Höhe von insgesamt 51.245,73 € bezahlt. Von den Zahlungen erhielt A keinen Anteil. Ihm ging es darum, die einträgliche Stellung als Kooperationsarzt der „V Gesundheitszentren“ zu erhalten und das Gewinnstreben der Eheleute T zu ermöglichen und zu unterstützen.
Aus den Gründen:
Die Verurteilung wegen Untreue gem. § 266 StGB begegnet laut BGH keinen rechtlichen Bedenken.
Zur Vermögensbetreuungspflicht führt der BGH aus: „Untreue setzt sowohl in der Alternative des Missbrauchs- als auch der des Treubruchtatbestandes voraus, dass dem Täter eine sog. Vermögensbetreuungspflicht obliegt. Diese erfordert, dass der Täter in einer Beziehung zum (potentiell) Geschädigten steht, die eine besondere Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Den Täter muss eine inhaltlich herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen, die über für jedermann geltende Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten und insbesondere über die allgemeine Pflicht, auf die Vermögensinteressen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, ebenso hinausgeht wie über einen bloßen Bezug zu fremden Vermögensinteressen oder eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf materielle Güter anderer.“ (Rn. 9) Untreue „setzt daher voraus, dass dem Täter die Vermögensbetreuung als Hauptpflicht, also als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Verpflichtung obliegt (…) und die ihm übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet ist, sondern ihm Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit belassen wird.“ (Rn. 10)
„Dies zugrunde gelegt, oblag dem Angekl. eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinn des § 266 Abs. 1 StGB gegenüber den geschädigten Krankenkassen, die ihm zumindest geboten hat, Heilmittel nicht ohne jegliche medizinische Indikation in der Kenntnis zu verordnen, dass die verordneten Leistungen nicht erbracht, aber gegenüber den Krankenkassen abgerechnet werden sollen.“ (Rn. 11)
Dazu führt der BGH aus: „Der Vertragsarzt erklärt mit der Heilmittelverordnung in eigener Verantwortung gegenüber dem Versicherten, dem nichtärztlichen Leistungserbringer und der Krankenkasse, dass alle Anspruchsvoraussetzungen des durch die Krankenversicherungskarte als berechtigt ausgewiesenen Versicherten auf das verordnete Heilmittel nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse aufgrund eigener Überprüfung und Feststellung erfüllt sind (…).“ (Rn. 13) „Auf dieser Grundlage eröffnet sich dem Vertragsarzt bei der Verordnung von Heilmitteln nicht nur eine rein tatsächliche Möglichkeit, auf fremdes Vermögen, nämlich das der Krankenkassen, einzuwirken, auch begründet das hierbei von ihm zu beachtende Wirtschaftlichkeitsgebot nicht lediglich eine unter- oder nachgeordnete Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Vermögen der Krankenkassen. Ihm obliegt daraus vielmehr (…) eine Vermögensbetreuungspflicht als Hauptpflicht im Sinn des § 266 Abs. 1 StGB.“ (Rn. 14)
Dass es sich um eine Hauptpflicht handelt, ergebe sich aus der Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots für das auf Vertrauen basierende Abrechnungssystem. „Es soll (…) die bestmögliche Nutzung der vorhandenen Ressourcen sicherstellen (…). Bei seiner Wahrung geht es um den Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, nämlich die Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung.“ (Rn. 21)
„Der Einordnung der Vermögensbetreuungspflicht als Hauptpflicht steht nicht entgegen, dass die Grundpflicht eines Arztes auf die Wahrung der Interessen des Patienten gerichtet ist (…).Denn die jeden behandelnden Arzt treffende Grundpflicht zur Wahrung der Interessen des Patienten schließt es nicht aus, ihnen (…) weitere Hauptpflichten aufzuerlegen und Vertragsärzte zur Wahrung der Vermögensinteressen der Krankenkassen im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verpflichten. Ihr Recht, einen freien Beruf auszuüben, wird hierdurch nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt.“ (Rn. 24) Auch die erforderliche Prüfung der Verordnung durch den Heilmittelerbringer oder das Prüfungsrecht der kassenärztlichen Vereinigung oder der Krankenkasse, stehe der Annahme einer Hauptpflicht nicht entgegen (dazu Rn. 25 ff.).
A habe die ihm aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots obliegende Vermögensbetreuungspflicht auch verletzt, indem er Heilmittelverordnungen ohne medizinische Indikation und in Kenntnis um die Nichterbringung dieser Leistungen ausstellte. Die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch A habe auch zu Vermögensnachteilen auf Seiten der betroffenen Krankenkassen in Form eines Gefährdungsschadens geführt. „Bereits mit Ausstellen der Heilmittelverordnung begründet der Vertragsarzt (…) eine „Verpflichtung“ für das Vermögen der Krankenkasse, da er befugt ist, durch eine solche Verordnung den Anspruch des Patienten gegen seine Krankenkasse auf die Gewährung von Sachmitteln zu konkretisieren (…). Nach Begründung dieser „Verpflichtung“ durch die Heilmittelverordnung des Angekl. waren bei gewöhnlichem Gang der Dinge nach dem vom Landgericht festgestellten Tatplan des Angekl. und der Eheleute T die Inanspruchnahme der Krankenkassen nahezu sicher zu erwarten und deren Zahlungen insbesondere aufgrund der schon zuvor mit der Überlassung der Krankenversicherungskarte gezeigten Mitwirkungsbereitschaft der „Patienten“ nicht von ungewissen oder unbeherrschbaren Geschehensabläufen abhängig.“ (Rn. 37)