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BGH, Urt. v. 21.12.2016 – 1 StR 253/16: Zur Erpressung und Nötigung durch einen Abschlepp­unternehmer

Eine Erpressung liegt nicht vor, wenn der Täter von dem Bestehen eines einklagbaren Anspruchs ausgeht. Der Täter unterliegt einem unvermeidbaren Verbotsirrtum, wenn er jeden Zweifel an der Strafbarkeit seines Handelns durch zuverlässigen und sachkundigen Rechts­rat ausgeräumt hat.

Sachverhalt:
Der wegen Erpressung Angeklagte A arbeitete für ein Abschlepp­unternehmen, das aufgrund eines Rahmenvertrags mit den Grundstückseigentümern berechtigt und verpflichtet war, unberechtigt parkende Fahrzeuge zu beseitigen. Im Gegenzug traten die Vertrags­partner ihre Ansprüche gegen die besitzstörenden Fahrzeugführer auf Schadensersatz an das Abschlepp­unternehmen ab. A hatte im Rahmen seiner Tätigkeit von 28 Autofahrern, die auf Privatgrundstücken trotz entsprechender Beschilderung überwiegend unberechtigt geparkt hätten, die Zahlung von Beträgen zwischen 80 und 352 Euro gefordert und damit gedroht, ansonsten eine am Kfz angebrachte Parkkralle nicht zu entfernen, einen bereits eingeleiteten Abschleppvorgang bezüglich des Kfz fortzusetzen oder den Standort eines bereits abgeschleppten Kfz nicht preiszugeben.

Aus den Gründen:

Eine Strafbarkeit nach § 253 StGB setzt voraus, dass die Bereicherung nach der materiellen Rechts­lage zu Unrecht angestrebt wird. Daran fehlt es, wenn der Täter auf den Vermögensvorteil einen fälligen einredefreien Anspruch besitzt oder irrtümlich davon ausgeht, ein entsprechender Anspruch bestehe. Die von A eingeforderten Forderungen waren dem Grund und der Höhe nach berechtigt. A war auch in allen Fällen vom Bestehen eines einklagbaren Anspruchs in geltend gemachter Höhe ausgegangen.

Auch eine Strafbarkeit wegen Nötigung oder versuchter Nötigung scheidet aus.
Eine Strafbarkeit wegen Nötigung nach § 240 StGB setzt voraus, dass die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist (§ 240 Abs. 2 StGB). Dies ist dann der Fall, wenn die Verquickung von Mittel und Zweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar ist, sie also „sozial unerträglich“ ist. Dabei ist die Androhung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, zur Durchsetzung einer ihm tatsächlich oder jedenfalls nach seiner Meinung zustehenden Forderung eine zulässige gesetzliche Maßnahme wie ein Zurückbehaltungs­recht ausüben zu wollen, grundsätzlich sozialadäquat. Allein ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) begründet in diesen Fällen zwar den Vorwurf zivilrechts­widrigen, nicht aber zugleich auch verwerflichen Verhaltens, wobei jedoch auch in den Blick zu nehmen ist, dass die Rechts­ordnung grundsätzlich kein „privates Faustrecht“ dulden kann.“

In der Androhung, A werde die Parkkralle nur abnehmen, den Abschleppvorgang nur stoppen oder den Standort des abgeschleppten Kfz nur verraten, wenn ihm der verlangte Geldbetrag gezahlt werde, liegt zumindest die Androhung eines empfindlichen Übels.
Die Nötigungs­handlungen führten auch zu dem erstrebten Nötigungs­erfolg (Zahlung des geforderten Geldbetrages oder jedenfalls Abgabe eines Schuldaner­kenntnisses).
Jedenfalls in den Fällen, in denen es zum Einsatz einer Parkkralle kam, war A‘s Handeln auch verwerflich.

A handelte aber in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.
Einem Verbotsirrtum unterliegt gemäß § 17 Satz 1 StGB, wem bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Er­kenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechts­rats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungs­bewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechts­lage erteilt worden ist. Der Täter darf jedoch nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn für ihn die Unerlaubtheit des Tuns bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Insbesondere bei komplexen Sach­verhalten und erkennbar schwierigen Rechts­fragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

Hier durfte A auf den eingeholten Rechts­rat vertrauen:
A habe umfangreichen rechtlichen Rat eingeholt und dabei nicht vorschnell auf die Rechts­auskunft nur eines mit seinem Unternehmen wirtschaft­lich verbundenen Rechts­anwalts vertraut. Auch ein Gutachten des Inhabers eines Lehr­stuhls für Bürgerliches Recht habe die Rechts­auffassungen der rechtlichen Berater des A bestätigt. Zudem haben sich die zur Beratung zugezogenen Rechts­anwälte ausführlich und auf zutreffender Sachverhaltsgrundlage mit den zivilrechtlichen und damals noch nicht höchstrichterlich abschließend geklärten Rechts­fragen auseinandergesetzt und A ihre Rechts­meinungen unterbreitet. Dies spreche für eine seriöse Beratung, auf die er habe vertrauen dürfen. A unterlag somit einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.

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