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BGH, Urt. v. 22.11.2016 – 1 StR 354/16: Körperverletzung durch Unter­lassen mit Todesfolge

Leitsatz:

Bei einer Körperverletzung durch Unter­lassen mit Todesfolge ist der erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe für einen Ausschluss der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – gegeben, wenn der Garant in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebens­gefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt. (Ls. des Senats)

 

„Vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB kann durch einen Garanten verwirklicht werden, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges trotz vorhandener Möglichkeit dazu pflichtwidrig nicht abwendet. Ein von § 223 Abs. 1 StGB erfasster Erfolg in Gestalt der Gesundheitsschädigung kann auch darin liegen, dass bei einem behandlungs­bedürftigen Zustand einer Person die gebotene ärztliche Versorgung nicht bewirkt wird (...). (Rn. 13 ff.)
Für die Abwendung dieses Erfolges der Körperverletzung hatte der Angeklagte gemäß § 13 Abs. 1 StGB auch rechtlich einzustehen. Dies resultiert aus seiner tatsächlichen Herrschaft über die von ihm in die Wohnung mitgebrachte und dort für andere zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebens­gefährlichen GBL (...).“
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war seine aus der Herrschaft über die Gefahrenquelle resultierende Pflicht zur Abwendung der vorstehend dargestellten Gesundheitsschädigung auch nicht durch eine eigen­verantwortliche Selbstgefährdung der Geschädigten B. und G. ausgeschlossen. Denn es mangelt bereits an der Eigen­verantwortlichkeit der Selbstgefährdung beider. Diese setzt voraus, dass der sich selbst Gefährdende (oder Verletzende) das eingegangene Risiko für das betroffene eigene Rechts­gut jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannt hat (...), wenn ihm auch nicht sämtliche rechts­gutbezogenen Risiken im Einzelnen bekannt zu sein brauchen (...). Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben beide Geschädigte das Ausmaß des mit dem Trinken des GBL aus der Flasche verbundenen Risikos grundlegend verkannt. Sie gingen nämlich beide von einer Konzentration des Wirkstoffs in einer konsum­fähigen Dosis, d.h. in einer verdünnten Form aus. Angesichts des tatsächlich unverdünnten und hochkonzentrierten GBL war ihnen damit der wesentliche Grad des mit dem Konsum für ihre jeweilige Gesundheit verbundenen Risikos nicht bewusst. Bereits dies schließt die Eigen­verantwortlichkeit aus. Zudem standen beide Geschädigte im Zeitpunkt der Einnahme unter nicht unerheblichem Einfluss von Alkohol sowie THC, Amphetamin und Methamphetamin. Das ist regelmäßig für die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung von nicht unerheblicher Bedeutung. Drängte sich daher das Vorliegen des äußeren Tatbestandes von Körperverletzungen durch Unter­lassen zum Nachteil beider Geschädigter auf, hätte das Landgericht den jeweils darauf bezogenen, wenigstens bedingten Vorsatz des Angeklagten beweiswürdigend näher erörtern müssen. Daran fehlt es.

Hinsichtlich des Geschädigten G. kam darüber hinaus auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unter­lassen mit Todesfolge (§ 227 Abs.1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht.
„Die Möglichkeit, § 227 StGB durch einen Garanten aufgrund einer Körperverletzung durch Unter­lassen zu verwirklichen, ist in der Rechts­prechung (...) und der Strafrechts­wissenschaft (...) anerkannt. (...) Vielmehr hat der 4. Strafsenat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, vom Vorliegen des spezifischen Gefahrzusammenhangs stets bei Verursachung des zum Tode führenden Zustands durch den Garanten auszugehen (...). In Über­einstimmung damit ist der Senat der Auffassung, dass der spezifische Gefahrzusammenhang bei einer Körperverletzung durch Unter­lassen mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe eines Ausschlusses der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – dann gegeben ist, wenn der Garant bereits in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebens­gefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt. In welchen Konstellationen darüber hinaus die Voraussetzungen einer Körperverletzung durch Unter­lassen mit Todesfolge gegeben sein können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.“

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