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BGH, Urt. v. 23.03.2016 – 2 StR 223/15: Strafvereitelung bei irriger Annahme der Vortatbeteiligung

Sachverhalt:

Der Angekl. I und der Mitangekl. K gerieten mit dem später Geschädigten G und dem Zeugen W in einen Streit. Im Verlauf der Streitigkeit zog K ein Klappmesser und hielt dieses geöffnet in seiner rechten Hand.
K führte das Messer in Richtung des am Boden liegenden G, um diesen zu verletzen. G biss dem K aus Angst vor Stichen in den Ringfinger der linken Hand. K versetzte daraufhin dem G mit dem Messer zwei Stiche in den Bereich des linken Mittelbauchs, wobei er den Tod des Opfers billigend in Kauf nahm.
Daraufhin ging K zu dem wenige Meter entfernt stehenden I und übergab ihm schnell und wortlos das noch aufgeklappte Messer. I entsorgte das Messer, um K zu entlasten und ihn einer späteren Strafverfolgung zu entziehen.

Während des Geschehens um K und G gab es auch eine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem I und W, dessen genauer Verlauf nicht festgestellt werden konnte.

I wurde wegen (untauglichen) Versuchs der Strafvereitelung zu Gunsten des K verurteilt.
Nach Ansicht des BGH hätte die Kammer aber feststellen müssen, ob I nicht zumindest auch seine eigene Bestrafung vereiteln wollte. Dann wäre er gem. § 258 Abs. 5 StGB nicht zu bestrafen.

Der Strafausschließungs­grund der Selbstbegünstigung greife auch dann, wenn der Täter lediglich irrig annimmt, er sei Beteiligter der Vortat, und daher die Befürchtung eigener Strafverfolgung unbegründet ist.
„Aus Sicht des Angeklagten könnte die Befürchtung entstanden sein, Angriffe des Mitangeklagten würden ihm zugerechnet oder er sei sonst strafrechtlich (mit)verantwortlich. Selbst wenn der Angeklagte entsprechend seiner Einlassung von einem nicht strafbaren Verhalten des Mitangeklagten ausgegangen sein sollte, könnte er angenommen haben, dass die Beweislage ungünstig ist und deshalb ein – aus seiner Sicht un­gerechtfertigter – Verdacht auch im Hinblick auf eine eigene Beteiligung an dem Tatgeschehen, entsteht oder verstärkt wird, dem er durch die Entsorgung des Messers entgegenwirken wollte.“

Anmerkung:

Das Landgericht hatte K freigesprochen, weil dieser in Ansehung des Bisses in den Finger in Notwehr gehandelt habe. Dass I bei der Entgegennahme des Messers und dessen anschließender Entsorgung erkannt habe, dass der Mitangeklagte in Notwehr gehandelt habe, sei nicht ersichtlich.

Der Strafvereitelungs­täter ist nur dann strafbar, wenn der Täter der Vortat eine „rechts­widrige“ Tat begangen hat. Geht der Hintermann nur irrig davon aus, die Vortat sei rechts­widrig, obwohl der Vortäter – wie hier – gerechtfertigt handelte, liegt ein sog. umgekehrter Tatbestandsirrtum vor. Der Täter nimmt also Umstände an, die bei ihrem Vorliegen eine Strafbarkeit begründen würden. Dies ist dann ein untauglicher Versuch.

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