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OLG München, Beschl. v. 11.07.2016 – 5 OLG 13 Ss 244/16: Zum Begriff der Schmähkritik

Redaktionelle Leitsätze (Bayern.Recht):
1. Der Begriff der Schmähkritik ist im Rahmen von § 185 StGB eng auszulegen.
2. Die Grenze zur Schmähkritik ist nicht überschritten, wenn aus der Äußerung nicht erkennbar ist, dass die Kritik an der Person das sachliche Anliegen vollständig in den Hintergrund treten lässt.
3. Bei der Bestimmung der Grenze zur Schmähkritik ist die Sach- und Verfahrensbezogenheit der Äußerung zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die bei der Prüfung von § 193 StGB erforderlichen Güter- und Pflichtenabwägung im engeren Sinne.

Sachverhalt:
Der Verurteilte hatte eine Strafanzeige erstattet, die jedoch nicht zu einem Ermittlungs­verfahren geführt hatte und äußerte nun im Klageerzwingungs­verfahren folgendes:
„Ihr Gefühl von Machtvollkommenheit kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie ... den reinen Unsinn fabrizieren. (...) Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte „Rechts­staat“ und „Legitimität“ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch R1. F. getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein R1. F. begangen hat: Bei R1. F. kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechts­staatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechts­staatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal – zuwider.“

Zur Entscheidung des OLG München:
Diese Äußerung sah das OLG nicht als Schmähkritik an (Rn. 8 ff.):

1. § 193 StGB ist eine Ausprägung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Allerdings gewährleistet Art. 5 Abs. 2 GG das Grundrecht der freien Meinungs­äußerung nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Strafgesetze gehören. Hierin liegt jedoch keine einseitige Beschränkung der Geltungs­kraft des Grundrechts. Vielmehr müssen auch die allgemeinen Gesetze im Licht der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichdemokratischen Rechts­staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (...).

Eine ehrverletzende Äußerung ist allerdings dann nicht mehr hinzunehmen, wenn mit ihr die Grenze zur Schmähkritik überschritten wird. Selbst eine überzogene und ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (...). Der Begriff ist eng auszulegen (...).

2. Der Angeklagte hat sich hier im Zusammenhang mit einem konkreten, noch anhängigen Gerichts­verfahren im Rahmen eines Rechts­behelfs nach § 33a StPO geäußert. Er hat unter Bezugnahme auf vorherige Schreiben umfassend ausgeführt, dass er das Vorgehen des Landgerichtes im Zivil­verfahren und der Staats­anwaltschaft für rechts­widrig hält und sein Unverständnis über die Entscheidung des Senats, der in keine Sach­prüfung eingetreten ist, geäußert. Wegen dieser Anlassbezogenheit der Äußerungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Diffamierung der einzelnen Mitglieder des Strafsenates im Vordergrund stand. Zwar hat der Angeklagte im Rahmen seiner Kritik harsche Worte gebraucht. Die Grenze zur Schmähkritik ist jedoch entgegen der Ansicht der Generalstaats­anwaltschaft nicht überschritten, weil nicht erkennbar ist, dass die mittelbar durch die Kritik an der Vorgehensweise des Senates bewirkte Kritik an der Person das sachliche Anliegen vollständig in den Hintergrund treten ließe. Um Formalbeleidigungen handelt es sich bei den hier streitgegenständlichen Äußerungen nicht.

3. Wie auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zunächst zutreffend ausführt, steht im Rahmen der dann bei der Prüfung von § 193 StGB erforderlichen Güter- und Pflichtenabwägung (...) dem vom Bundes­verfassungs­gericht (...) betonten Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten zu kritisieren, die Ehrverletzung der Mitglieder des Strafsenates gegenüber. Der Abwägungs­vorgang des Landgerichtes ist allerdings schon deshalb zu beanstanden, weil es davon ausgeht, dass das Schreiben des Angeklagten keine verfahrensrechtliche Relevanz mehr hatte und die Ausführungen in der Sache selbst nicht mehr dienlich war (UA S. 11). Damit wird das Wesen der Anhörungs­rüge verkannt, die bei Vorliegen einer hier behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs auch zur Nach­prüfung der bereits getroffenen Sachentscheidung zwingt (...). Wie jedoch bereits ausgeführt, ist der Umfang der Sach- und Verfahrensbezogenheit der Äußerung bereits bei der Bestimmung der Grenze zur Schmähkritik, aber auch bei der Abwägung im engeren Sinne von entscheidender Bedeutung, so dass hierin ein erheblicher Rechts­fehler der Kammer zu sehen ist.

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