DE / EN

OLG Rostock, Beschl. v. 09.09.2016 – 1 Ss 46/16: Zur Strafbarkeit wegen Bezeichnung „Rabaukenjäger“

Sachverhalt:

Der Zeuge T, ein Jäger, erhielt einen Anruf von einem Jagdkollegen mit dem Hinweis, dass im Jagdrevier des T. auf der B 109 ein totes Reh liege. T, welcher weder mit einem Anhänger noch einer Plane zur Bergung eines Tierkadavers ausgerüstet war, entschloss sich kurzerhand, das tote Reh mit einem Seil an der Anhängerkupplung seines Fahrzeuges zu befestigen und in Schrittgeschwindigkeit und eingeschalteter Warnblinkanlage am rechten Fahrbahnrand bis zum nächstgelegenen Feldwegabzweig in einer Entfernung von ca. 100 Meter zu ziehen um das Wild als mögliche Unfallgefahr so schnell wie möglich von der Bundes­straße zu entfernen. Er entsorgte das tote Reh, indem er dieses im Erdreich vergrub.

Der Fahrer eines nachfolgenden Fahrzeugs fotografierte das Geschehen und stellte dieses Foto ins Internet.

Zum Tatgeschehen:

Der Angeklagte A, der Lokalredakteur der H-Zeitung ist, bekam den Auftrag, sich der Sache anzunehmen. Er versuchte, den T. zu erreichen, was jedoch nicht gelang, weil sich dieser auf einem mehrtägigen Urlaub befand. A verfasste noch am selben Tag einen Artikel mit der Überschrift 'Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter', welcher tagsdrauf erschien und der suggerierte, T. habe das Reh gejagt, erlegt und anschließend aus Bequemlichkeit über öffentliche Straßen nach Hause geschleift. Zwar nannte A den Namen des T nicht ausdrücklich, für einen Großteil der regionalen Leserschaft war aufgrund der im Artikel enthaltenen Individualisierungs­merkmale die Erkennbarkeit des Jägers ohne Weiteres gegeben.

Der Senat sieht in der Bezeichnung „Rabaukenjäger“ keine Beleidigung.

Aus den Gründen:

Eine Beleidigung liegt „bei einem Angriff auf die Ehre einer Person durch Kundgabe von Missachtung vor. Diese kann den ethischen Wert einer Person betreffen, den diese nach außen infolge ihres Verhaltens hat, oder den sozialen Wert, den sie wegen ihrer Leistungen und Eigenschaften für die Erfüllung sozialer Sonderaufgaben hat, z.B. im Hinblick auf einen Beruf; dies ist unter Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände zu ermitteln. (…)Maßgebend ist diesbezüglich, wie ein verständiger Dritter die Äußerung versteht. Bei mehrdeutigen Äußerungen darf die zur Verurteilung führende Bedeutung nicht zu Grunde gelegt werden, ohne vorher mit schlüssigen Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Sanktion nicht zu rechtfertigen vermögen. Der Vorsatz des Täters muss das Bewusstsein umfassen, dass die Äußerung nach ihrem objektiven Sinn eine Missachtung darstellt.“

Auf der einfachen Sinn- und Deutungs­ebene ohne Einbeziehung weiterer Umstände habe die Bezeichnung des T. als „Rabauken-Jäger“ zwar herabsetzenden Charakter. Diese Herabsetzung relativiere sich jedoch bereits dadurch, dass die Bezeichnung „Rabauken-Jäger“ sich allein auf die ausgeübte Tätigkeit des T. als Jäger beschränkt und nicht die Gesamtpersönlichkeit des T in den Blick nehme und kritisiere, was auch im weiteren Kontext bestätigt werde. Die Betroffenheit des Zeugen durch Verwendung des Begriffs „Rabauken-Jäger“ beschränke sich damit auf einen konkreten Lebens­sachverhalt.

„Auch die Verwendung des Begriffs des „Rabauken“ selbst stellt sich im Vergleich mit anderen denkbaren herabsetzenden Bezeichnungen aus Sicht des Senats als eher harmlose Herabsetzung dar (so beispielsweise schon im Vergleich zur Bezeichnung „Drecksjäger“ oder „fieser Wildschleifer“[Anm. verwendete Bezeichnungen des T. bei Kommentaren im Internet]). Der Begriff selbst (…) bezeichnet salopp und abwertend einen rohen (gewalttätigen) Jugendlichen oder jungen Mann, der sich laut und ungesittet benimmt [Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG)]. Das entspricht auch dem aktuellen Sprachgebrauch. Im Kontext des inkriminierten Artikels relativiert sich diese – ohnehin milde – Herabsetzung noch weiter; schon die Diskrepanz des nach allgemeinem Sprachgebrauch zentralen Verwendungs­kontextes (junger ungestümer Mann) und den vom Angeklagten getroffenen – zutreffenden – Feststellungen zur Person des Zeugen T. als eines älteren Herrn lassen aus der Sicht des objektiven Betrachters eine feuilletonistisch-ironisierende Verwendung dieses Begriffes erkennen.“

Es erscheint dem Senat deshalb zweifelhaft, ob damit überhaupt die Voraussetzungen der Missachtung des ethischen oder sozialen Wertes des Zeugen T. im Sinne des § 185 StGB erfüllt sind. Jedenfalls sei diese Äußerung als Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB nicht strafbar.

„Liegt (…) eine dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallende Meinungs­äußerung des Angeklagten vor, hat diese gegenüber dem Persönlichkeits­schutz des Opfers nur dann von vornherein zurückzutreten, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt.“

Kennzeichen einer Formalbeleidigung ist, „dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt ergibt.“ Hier ergebe sich der Angriff aber aus dem Inhalt der Äußerung und nicht aus ihrer Form.

Die Meinungs­freiheit müsste nur dann gegenüber dem Ehrenschutz des Opfers zurücktreten, wenn es sich bei der Äußerung um eine Schmähkritik handeln würde. Schmähkritik ist nicht mehr vom Grundrecht auf Meinungs­freiheit geschützt. Für die Annahme von Schmähkritik sind deshalb strenge Maßstäbe anzuwenden. „Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Sie wäre gegeben, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person und ihre Herabsetzung im Vordergrund stünde. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor.

Die Auseinandersetzung mit der Person des T. geschehe auch in sehr überspitzter feuilletonistischer und zum Teil umgangssprachlicher Weise, was eine gewisse-holzschnittartige Grobheit in der Darstellung mit sich bringt, wahrt jedoch den Sachbezug zum kritisierten Verhalten. Die die Identifizierung ermöglichenden Angaben zu seiner gesellschaft­lichen Rolle in der Gegend seien auch nicht zwingend darauf angelegt gewesen, den Zeugen T. zu diffamieren bzw. an den Pranger zu stellen. Vielmehr sei ein besonders kritischer Blick auf das sonstige Verhalten angesichts seiner „herausgehobenen Persönlichkeit“ wegen früherer Aktivitäten dem T. gesellschaft­lich zumutbar. Ein Verhalten im öffentlichen Raum genieße dabei umso weniger Schutz vor Kritik, je mehr es berechtigten Anlass zu einer solchen liefert. Das Verhalten des T. erwies sich nach dem Er­kenntnisstand des A als durchaus kritikwürdig, da das Abschleppen eines toten Wildtieres mittels PKW und Seil auf öffentlicher Straße erkennbar nicht jagdberufsrechtlichen Standards entspräche.

Angesichts des bereits in der Öffentlichkeit in Gang befindlichen Diskussionsprozesses über die Legitimität dieses Verhaltens bestand ein berechtigtes und damit schutz­würdiges Interesse des A als Vertreter der Presse über diesen Sachverhalt zu einem Zeitpunkt zu berichten, zu dem dieses Thema noch aktuell war, ohne die Stellungnahme des T. abzuwarten.

Auch betreffend des verwendeten Begriffs „Drecksjäger“ liegt keine strafbare Beleidigung vor. Die bloße Weitergabe beleidigender Urteile Dritter ohne Hinzutreten weiterer Umstände stellt grundsätzlich keine Beleidigung dar.

Zum Volltext (Zugriff nur vom Uni-Netzwerk)